Über ein Dorf in Rumänien schreibt ein deutscher Dorfschreiber  

Jürgen Israel erzählt sehr berührend von dem Zusammenleben mit den Zigeunern in Cata.Jürgen Israel, Berlin, lebte 2013/2014 ein Jahr lang in Caţa, was einmal Katzendorf hieß.

Es ist unglaublich, was ein Dichter in einem Dorf in einem Jahr erleben kann, wenn er sich auf das Leben ganz intensiv einlässt und in jeden der Bewohner als seinen Nächsten sieht. Als eine besondere Ehre betrachtete Jürgen Israel den "Dorfschreiberpreis" in Caţa im rumänischen Siebenbürgen. Dieser Preis wird von dem Berliner Filmemacher Frieder Schuler ausgelobt, der aus Caţa stammt.
Ungefähr 2500 Menschen leben in diesem Dorf. Es wird rumänisch gesprochen, neben Rumänen und Ungarn leben hier aber vor allem Roma, die ausdrücklich als Zigeuner, Zigani, bezeichnet werden wollen und noch immer in festen familiären Bindungen zusammenleben.
Im Gegensatz zu vielen anderen Dorf- oder Stadtschreibern beschreibt Jürgen Israel das, was er sieht und fühlt, er greift kaum auf die Geschichte des Ortes oder der Zigeuner zurück, noch schreibt er an einem angefangenen Roman weiter. Der Leser erfährt einfach das Leben hier und heute.
Und es entsteht eine berührende Erzählung über das bäuerliche Miteinander von Mensch und Tier in einer sanften, hügeligen Landschaft, die Schönheit und Ruhe ausstrahlt und die Menschen über Jahrhunderte prägte: freundlich und lebensbejahend, selbstverständlich auf Hilfe für den anderen verpflichtet, ohne Allüren und mit wenig Luxus auskommend. Die Gespräche beim Friseur, der im Hof unter einem Vordach Haare schneidet und mit den Kunden ein Bier trinkt, die Erfahrung mit Zigeunern, die wegen der angeblich besseren Zukunftschancen ihre Kinder lieber in eine deutsche Schule schicken als in eine rumänische, obwohl sie die deutsche Sprache gar nicht beherrschen und so zu Außenseitern werden oder die Atmosphäre der traditionellen Viehmärkte und die Bräuche der rumänisch-orthdoxen Kirche werden dem Leser spürbar vermittelt. Ab und zu verlassen Zigeuner-Familien die dörfliche Gemeinschaft und gehen als Arbeiter in die Städte, sie blicken geringschätzig auf die Zurückgebliebenen herab, werden aber niemals zugeben, dass die erhoffte Integration in der neuen Umgebung nicht stattfindet, dass sie dort als "Zigeuner" verächtlich behandelt werden und keine Gemeinschaft sie trägt.
Der größte Glücksfall für Jürgen Israel war die Begegnung mit dem Dorfhirten Georg. Mit ihm geht er mehrere Tage mit Kühen und Pferden auf die Weide. Am Morgen werden die Tiere von den Ein immer wieder gern gesehener Referent beim Kunstverein: Jürgen Israeleinzelnen Höfen abgeholt und abends zurückgebracht. Ganz selbstverständlich erhält Jürgen Israel eine Peitsche und muss beim Austrieb helfen und die Tiere vom Fressen in fremden Revieren abhalten. Die Arbeit des Hirten ist anstrengend, jeweils von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Georg kennt alle Tiere mit Namen, es sind immerhin etwa 130, er kennt ihre Geschichten, ihr Alter und wie viele Kälber sie geboren haben, er kennt jeden Baum und Strauch, jeden Hügel in der Nähe und in der Ferne ebenfalls. Diese Empfindungen von Heimat- und Naturverbundenheit, von Gastfreundlichkeit und menschlicher Wärme kann kein Reisekatalog vermitteln, das können eben nur die Dichter. Fast ganz natürlich betrachtet der einfache Viehhirte Georg die Tätigkeit eines Schriftstellers ebenfalls als Arbeit. 
Von Jürgen Israel als äußerst schmerzlich empfunden wird daher die Mitteilung von Georg, dass er mit dem Gehalt des Viehhirten seine Familie nicht weiter ernähren kann und er gezwungen ist, ins Ausland zu gehen, um dort die Anstellung bei einem Fahrgeschäft in Deutschland anzunehmen. Der versprochene Lohn von 700 € im Monat wird im Arbeitsvertrag nur noch mit 650 € ausgewiesen, er hat keine andere Wahl, er wird unterschreiben. Wovon wird er in Deutschland im Getümmel von Riesenrad und Karussell träumen?
An dieser Stelle greift Jürgen Israel doch einmal auf die Geschichte zurück. Im 12. Jahrhundert wanderten die heutigen Einwohner als arme Deutsche in Siebenbürgen ein und gründeten mit beharrlicher Arbeit wohlhabende Städte mit den bekannten Kirchenburgen, wovon auch eine in Caţa zu finden ist. Die Brüder Grimm verarbeiten das Geschehen in der Sage des "Rattenfängers von Hameln". Nachdem der Rattenfänger die Stadt Hameln von der Rattenplage befreit hatte, wollte man ihn nicht bezahlen. Als Strafe dafür lockt er mit seiner Flöte die Kinder aus der Stadt in eine Höhle, der sie erst in Siebenbürgen wieder entkommen. Heute suchen die Siebenbürgen Sachsen Arbeit in Deutschland, damit die Familie überleben kann. Dieses Dilemma verwandelt Jürgen Israel auf seine Art in Lyrik.
Ankunft der Hamelner kinder in Siebenbürgen
Entsetzen.

Nach der höhle, /dem dunkel, /der wärme /geblendet.
Das licht, /die kälte, /der fluss.
Ausspeit die höhle /sie alle. 
Keiner bläst /auf der flöte zum tanz. /Keiner zeigt springend /den weg. 
Eins /blind geboren /sehend geworden im dunkel /fängt einen fisch.

Flucht der Siebenbürger sachsen nach Hameln
Zurück

Zurück. /durch den Fluss /in die höhle /ins dunkel.
Überschwemmt /ist das land. /Im schlamm der höhle /spiegelt sich nacht.
Auftut sich der berg, /ein regenbogen /über der weser. /Keiner sieht ihn /mit schweren schuhen /stolpern die Kinder /ins land.
Von ferne ein tanzlied. /Die füße sind müd. /Und keiner, der springt.

Im anschließenden Gespräch hatten die Zuhörer vieles zum Thema beizutragen und sind nun gespannt, wann das Buch im Druck erscheinen wird. Vielleicht zur nächsten Buchmesse?

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.