Was Chinas Dichter heute zu sagen haben
Der chinesische Nobelpreisträger für Literatur Mo Yan, Lesung und Gespräch mit Uwe Jordan
Wo fängt das Sagbare an und wovor sollte es Halt machen? Diese Alternativen stehen bei allen Künstlern immer wieder zur Debatte. Nicht zuletzt ganz aktuell bei der Diskussiion um die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Ein ähnliches Stil-Mittel, das an die Grenze geht, wählt der chinesische Schriftsteller Mo Yan für seine Bücher, die vom heutigen China erzählen. Dabei wird der Administration seines Landes ein Spiegel vorgehalten, der keinerlei Wohlwollen widerspiegelt. Aber ebenso muss der Leser einiges aushalten, wenn er Bücher dieses Autors liest.
Mo Yan wurde 1955 als Guan Móyè in der Provinz Shandong geboren, er lebt und schreibt in China bis heute. In der Zeit der Kulturrevolution, die Eltern waren Bauern, gab es für ihn keine Möglichkeit, länger als bis zu 12 Jahren zur Schule zugehen. Er arbeitete deshalb in einer Fabrik, schloss sich der Volksbefreiungsarmee an und begann Kurzgeschichten zu schreiben. Innerhalb der Armee kann er ein Kunststudium absolvieren und nimmt seinen heutigen Namen Mo Yan an, was so viel heißt wie "Sprich nicht!" Dies wurde ihm als Kind von seinen Eltern für das Verhalten außerhalb des Hauses verordnet. Die Namensänderung wiederum drückt seine Verbundenheit zu Kindheit und Leben in der chinesischen Provinz aus, die den Hintergrund seiner vielen Erzählungen und Romane bildet.
Man sagt über ihn, seine Schreibstil gehöre zum magischen Realismus, einer Kunstrichtung, die nach 1920 von Künstlern aller Genre eingesetzt wurde, in der Darstellung der Gräuel von Krieg, Hunger und Tod. Bekannte Künstler, wie Käthe Kollwitz und Werner Tübke gehörten dazu. Was sie in Bildern zwischen Magie und gewalttätigen realen Ereignissen verschlüsseln, erzählt Mo Yan in einer bildhaften Sprache, die ihres gleichen sucht.
Uwe Jordan stellt vier Bücher diese Autors vor, der 2012 den Nobelpreis für Literatur seiner Meinung nach zu Recht erhielt. Mo Yan schreibt seine Bücher in China über China und veröffentlicht sie auch dort. Aus diesem Grund wurde er von chinesischen verfolgten Künstlern, die im Ausland leben, als "Staatsdichter" beschimpft, was man nicht nachvollziehen kann, wenn man nun den Inhalt der Bücher kennt.
Vorgestellt wurden von Uwe Jordan: "Die Knoblauchrevolte", "Die Schnapsstadt", "POW" und "Die Sandelholzstrafe".
Uwe Jordan wählt bewusst Kapitel aus, die an die Grenze des Unsagbaren gehen. In "Der Knoblauchrevolte" stürmen Bauern das überaus prächtige Büro des Kreisvorstehers, der ihnen den Befehl gab, Knoblauch anzubauen und dieser dann den Bauern nicht abgekauft wird. Unter der sprudelnden Fontäne des Innenhofes wird nun Knoblauch in Unmengen abgeworfen. Weder Kreisvorsteher noch Parteisekretär haben den Mut zur Gegenüberstellung. Parolen wie "Nieder mit den Beamten! Nieder mit der Bürokratie! Euch hasse ich, gegen den Sozialismus habe ich nichts!" bestimmen den Tenor der Revolte. Drei Personen kommen vor Gericht. Darunter die Frau eines Bauern, dessen Mann von einem Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung im Suff totgefahren wurde. Keiner der Drei überlebt.
"Die Schnapsstadt" ist eine Erzählung zwischen realem Geschehen und Fiktion, wobei der Leser nie genau weiß, in welcher Ebene er sich gerade befindet. Ein staatlicher Ermittler soll einen Fall von Kannibalismus aufdecken, in den ein Parteisekretär, ein Bergwerksdirektor und ein Parteisekretär verwickelt sein sollen. Der Ermittler wird von diesen zu einem Gelage verführt, bei dem reichlich Alkohol angeboten wird, den er wider besseres Wissen am Ende fleißig mittrinkt. Den Schluss des Gelages bildet ein gebratener kleiner Junge, der verspeist werden soll. Zwischen realer Wahrnehmung, ob das stimmt oder ob es nur täuschend ähnlich zubereitetes Gemüse und Obst ist, schwankt der Erzähler in epischer Breite hin und her, zwischen von Alkohol erzeugter gutgläubiger Euphorie und kaltem Entsetzen darüber, dass es Realität sein könnte. Was am Ende stimmt, bleibt an diesem Abend offen. Offensichtlich aber bleibt die Erkenntnis, dass selbst ein moralisch gefestigter Mensch manipulierbar ist von schwarz nach weiß und dies eine Methode der jeweils Mächtigen ist, ihre Macht zu erhalten.
Als Drittes kommen Auszüge aus "POW" zu Gehör. Eine Fleischergenossenschaft erhöht ihren Umsatz dadurch, dass den geschlachteten Kühen unter Hochdruck Wasser und Formaldehyd eingespritzt werden, um das Gewicht zu erhöhen und das Fleisch frisch und rosig aussehen zu lassen. Einige Fleischer gründen daraufhin ihre eigene Genossenschaft, da diese Methode bei ihnen auf Ablehnung stößt und außerdem verboten sei. Genau diese Gruppe aber wird im Weiteren zu der eigentlich verbrecherischen. Weil sie natürlich nun weniger Umsatz erzielen als ihre Konkurrenten, kommen sie auf die Idee, das Wassereinspritzen an den lebenden Tieren vorzunehmen, da das ja ausdrücklich nicht verboten sei. Grotesker geht es nicht.
Nachdem dies alles gelesen war, konnte kaum einer irgendetwas von einem staatsdienenden Dichter erkennen, verbunden allerdings mit Staunen über das heutige China, das solche Literatur aushält.