„Die Geschichte gibt es nicht, nur Geschichten“

Gespräch mit Jürgen Engert und Dr. Andreas H. Apelt

Dr. Andreas H. Apelt und Jürgen Engert, v.l.Eingeladen vom Kunstverein trafen sich am Schloss-Kamin Gesprächspartner aus Berlin und Hoyerswerda, um über die vergangene Trennung, die gemeinsam zu gestaltende Gegenwart und mögliche Schritte in die Zukunft zu sprechen, vor allem aber um einander zuzuhören. Mit diesem Ziel gründeten bereits am 13. Januar 1990 engagierte Zeitgenossen - Lothar de Maiziere und Franz Müntefering, Hans –Dietrich Genscher, Willy Brandt und Bärbel Bohley, Armin Müller-Stahl und Veronica Ferres, Martin Walser und Günter de Bruyn – den ersten gesamtdeutschen Verein „ Deutsche Gesellschaft e.V.“. Die Förderung politischer, sozialer und kultureller Beziehungen in Europa war und ist das Ziel dieser ihrer Verantwortung bewusst denkender und handelnder Zeitgenossen. Dieser gemeinsame Schritt geschah zu einem Zeitpunkt, als der weitere Weg der beiden deutschen Staaten noch völlig unklar war.
Mit diesem Rückblick leitete Dr. Andreas H. Apelt - damals in der kulturellenSzene im Prenzlauer Berg Berlin engagiert, heute Vorstandsbevollmächtigter des Vereins - das Gespräch mit Jürgen Engert - einst Chefredakteur des Fernsehens SFB und Gründungsdirektor des ARD-Hauptstadtstudios Berlin – ein. Letzterer ist geborener Dresdener, ersterer ein Luckauer, Niederlausitz.. Beide durften in der DDR nicht den Beruf erlernen, den sie sich gewünscht hatten, daher ging Jürgen Engert nach Westberlin, um zu studieren, Andreas Apelt erlernte mehrere Berufe, arbeitete in diesen und erwarb dabei sein Abitur, das ihm nach langen Mühen ein Studium an der Humboldt-Universität ermöglichte.
Beide erzählten kurz von ihren Wegen ohne den berühmten „Blick zurück im Zorn“, sondern vielmehr locker, geistreich heiter, voller neuer, Nachdenken werter Betrachtungen, z.B. über den Status Berlin, über die Frage: war Deutschland „gespalten“ oder nicht vielmehr nur „getrennt“? Letzteres ermöglichte, beide Teile zusammen zu fügen, anstatt ein anderes staatliches Gefüge schaffen zu müssen. Eine Aufgabe , die immer noch besteht, wie in der folgenden Diskussion durchaus gemeinsam anerkannt wurde.
Dr. Andreas Apelt, den manche aus früheren Veranstaltungen bereits kannten, moderierte den Gedankenaustausch mit Jürgen Engert, dessen Gesicht manchen Besuchern durchaus aus der Fernsehsendung „Kontraste“ bekannt war, dem sie aber noch nie so nah und direkt gegenüber gestanden hatten wie an diesem Abend im Hoyerswerdaer Schloss. Das Fragen fand dann schwer ein Ende, Manfred Martschink erzählte von einem ähnlichen Umweg zu seinem späteren Beruf wie Jürgen Engert, zwar in den gleichen Jahren jedoch in Ostberlin. Beide kannten die seltsam unsichere Situation Westberlins und die stete Furcht vor einer gewaltsamen Änderung, die dann am 13. August 1961 geschaffen wurde. Die Frage, ob die neue Bundesrepublik einen Friedensvertrag habe oder vielmehr brauche, wurde erschöpfend mit dem Hinweis auf den Zwei+Vier –Vertrag, auf die Verhandlungen wie die rechtlichen Erwägungen, die ihm vorausgingen, um ihn als Friedensvertrag völkerrechtlich anzuerkennen, beantwortet. Die Lage der damaligen Sowjetunion stand zur Debatte, die ihre 400 000 Soldaten, die in der DDR mit ihren Familien lebten, zurück nahm und mit wie viel finanziellen Ausgleich die Bunderepublik zu helfen versuchte, wurde mit Zahlen belegt. Jürgen Engert erzählte, wie er Boris Jelzin und Michail Gorbatschow begegnete und wie deren Leistungen in der damaligen Weltlage sähe. Voller Hochachtung, offen und doch mit ehrlicher Zurückhaltung schilderte er deren Verantwortung, aber auch wie diese heute in Rußland gesehen werde. Die Einweihung der Dresdner Semperoper, hatte er miterlebt ,den Streit um den Bau des Hotel „Bellevue“ am Elbufer anstatt eines Hochhauses, das den Elbblick zerstört hätte und die Bürgerbewegung um den damals sachkundigsten obersten Denkmalpfleger Professor Nadler hatte er als Urdresdener miterlebt und deren Erfolg bewundert.
Neuanfang im Westen von Dr. Andreas H. ApeltDas Gespräch bewies einmal mehr den Eingangssatz Jürgen Engerts: „Die Geschichte gibt es nicht, es gibt nur Geschichten“. Jeder Zeitgenosse erlebte sie und kann sie erzählen. Das Geschichtsbild sei ein Konstrukt aus vielen verschiedenen Eindrücken, die Lebende aufnehmen und weitergeben. Daher seien Gespräche, Frage und Antwort, das Erzählen der Geschichten und Gedankenaustausch wichtig, um zu einander zu finden. Dazu bekannten sich die Berliner Gäste wie ihre Hoyerswerdaer Gesprächspartner. Beide kehrten nachdenklich begeistert nach Hause zurück, nicht ohne weitere Treffen zu vereinbaren, z.B. zu einer Lesung mit Andreas H. Apelt zu seinem jüngst erschienenen Roman.

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