Die Sinnesart der Anderen

Hoyerswerdaer Kunstverein, am 02.10.2014

Prof. Dr. Bodo Zelinski in Hoyerswerda 2014Prof. Dr. Bodo Zelinsky, Slawisches Institut der Universität Köln, referiert über die russische Mentalität in der Literatur

Die russische Seele, ist das ein klar zu definierender Begriff oder vielleicht nur ein Klischee?
Professor Dr. Bodo Zelinsky geht dieser Frage behutsam und durchdacht in den vielfältigen Bereichen der russischen Literatur nach. Zagadosnaja russkaja dusa, die rätselhafte russische Seele, ist für ihn nicht zu definieren, aber durchaus eine besondere Geistes- und Gemütsart des russischen Menschen. Es sind verflochtene Aspekte des Denkens und Fühlens, die den russischen Menschen unverkennbar machen, unverkennbar in der ihm eigenen Mentalität. Gerechte Vorstellungen von Gut und Böse gehen ihm über alles. Das ist nicht oben verordnet, sondern von unten gewachsen, es enthält neben den bewussten viele unbewusste Aspekte, die zum großen Teil von der Natur geprägt werden.
Prof. Dr. Zelinsky sucht Antworten bei russischen Philosophen und Dichtern selbst, bei Philosophen, die sich zur Herausbildung des nationalen Volkscharakters äußern und bei Dichtern wie Puschkin, Tschechow, Gogol, Tolstoi, Turgenjew, Scholschenizyn u.a. Deutlich wird darin, wie der russische Mensch mit seiner Heimaterde verbunden ist: die russischen Bauern gehören der Erde, und die Erde gehört ihnen. Aus den Weiten der Steppen hat sich die russische Mentalität geformt und aus dem Unerschöpflichen der großen dichten Wälder. Beide Vegetationszonen sind in Russland schier unbegrenzt vorhanden, immerhin verfügt dieses Land über die weltweite größte Vegetationsbreite, verteilt auf 10 Zeitzonen. Die Steppe steht für Unendlichkeit und Freigeist, aber ebenso für Verlorenheit und Ödnis und unerschütterliche, stoische Ruhe. Russlands Wälder bieten Schutz und bergen Gefahr, ernähren ihre Bewohner und ängstigen sie mit Dämonen und Gespenstern. Über viele Jahrhunderte prägt diese besondere Natur die Menschen, macht sie einerseits sensibel, aber auch zäh und ausdauernd, gewaltbereit und leidensfähig, "breit" gegen alle Unbilden des Lebens.
In Anton Tschechows Erzählung "Die Steppe" begegnet der Leser Menschen mit all diesen Eigenschaften, die es eben nur hier gibt und immer geben wird. "Der große Raum der Steppe" ist in Wahrheit eine große Wüste, bei Philosophen das totale Nichts.
Im Vergleich mit westlichen Lebensformen, geht der westliche Mensch zugrunde, weil es ihm zu eng wird, weil es zu wenig Raum gibt, der russische Mensch, weil ein zu viel an Raum vorherrscht. Bei Dostojewski wird diese "breite" Seele den Protagonisten zum Verhängnis, endet mit Skrupellosigkeit, Willkür und Mord. Scholzenizyn und Belinski beschreiben, wie die volle Freiheit ins Verderben führt und Gogol lobt die geheimnisvolle Kraft Russlands in vielen Facetten und beschreibt die undendliche Trägheit und Wissensarmut. Alle aber rühmen die Leidensfähigkeit und die Menschlichkeit. Bei Alexander Block, wie bei vielen anderen auch, steht Christus für den Menschlichsten der Menschen.
Mit einem Dichter der Moderne beschließt Bodo Zelinskky den Abend: Russland entzieht sich dem nationalen Verstehen, eher wird ein Mobile erfunden, als dass das westliche Ausland den russischen Menschen erfassen kann.

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