Kamin-Gespräch mit Freunden                                                                                                                                                        

Dorothea Iser liest beim Hoyerswerdaer Kunstverein 2014Stille herrschte am Donnerstag in der Stadt, König Fußball fesselte seine Anhänger an die Fernseher. Die deutsche Auswahl wetteiferte mit der aus den USA. In Schwarzkollm wurde eine Ausstellung mit Arbeiten des Künstlers Jürgen von Woyski eröffnet.     Im Schloss hingegen bildeten die Kunstliebhaber am Kamin einen Kreis mit der Schriftstellerin Dorothea Iser aus Burg bei Magdeburg. Erstmals vor fast zwei Jahren hatten sie und ihr Mann Walter die Brigitte Reimann-Begegnungsstätte besucht, um kennen zu lernen, wie in Hoyerswerda, dem vieljährigen Wohn- und Arbeitsort der Autorin Brigitte Reimann, an diese erinnert wird. Ihr Ziel damals war, in B. Reimanns Geburtsort deren Andenken ebenfalls Weise zu wahren und öffentlich zu machen. Bereits damals fanden beide Gruppen in dem Anliegen zusammen, diese in der Literaturgeschichte und Gegenwart wichtige Schriftstellerin zu ihrem 80. Geburtstag gemeinsam zu ehren. Dorothea Iser verwirklichte 2013 in Burg mit dem Kultur-Stammtisch ein bewundernswert vielgestaltiges Brigitte-Reimann-Jahr, an dem der Hoyerswerdaer Kunstverein aktiv teilnahm, während die Burger Freunde mehrmals Veranstaltungen in Hoyerswerda besuchten.  Der Abend am Kamin dieser Woche setzte die damals entstandene, seither gepflegte Freundschaft fort.                                                                                                                                              
Dorothea Iser begann vor 4 Jahrzehnten - neben ihrem Beruf als Erzieherin bei sozial und psychisch Gefährdeten – in einem Zirkel Schreibender Arbeiter mit literarischen Arbeiten. 1979 veröffentlichte sie ihre erste Erzählung, inzwischen liegen fünf Erzählungssammlungen, sechs Bände Lyrik, drei Romane, Kinderbücher und sechs Anthologien vor. In letzteren stellt sie Texte jener Mitmenschen vor, die in der von ihr gegründeten und 17 Jahre betreuten „Schreibrunde“ in der Jerichower Psychiatrie entstanden. Die Ergebnisse dieses Kreises stellte sie in den Mittelpunkt des Gesprächs am Kamin.
Entgegen anfänglich – auch von Fachleuten - häufig geäußertem Zweifel sammelten sich mehrfach kranke Menschen um sie, überwanden ihre Scheu, gewannen auch die verlorene Sprache wieder, um nach und nach ein wenig von sich zu Bücher, die Dorothea Iser schrieb oder initiierte.erzählen, zaghaft einige Erlebnisse, Eindrücke, Sorgen und Ängste aufschreiben zu lassen oder es selbst zu versuchen. Nur kurz skizzierte die Gesprächspartnerin einige Biographien, die Entsetzen auslösen konnten, Begegnungen mit Menschen, die in besten, oft noch jugendlichen Jahren durch Krankheit oder Schicksalsschläge aus ihrem selbst bewussten Leben herausgerissen wurden. Sie drohten in ihrer nach außen oft verschlossenen, eigengeprägten Welt unterzugehen. Die Schriftstellerin erzählte mit großer Zurückhaltung, achtungsvoll und einfühlsam von ihren Gesprächspartnern. Da war von Heike zu hören, einer jungen Frau seit Kindheitstagen an einen Rollstuhl gefesselt, der es gelang, nach langem Zuhören und Zögern erstmals mühsam drei Sätze zu äußern: „Ich habe Angst. Ich habe Angst, dass ich hinfalle. Was kann ich dagegen tun?“ Dorothea Iser ergänzte: “Als sie fertig war, strahlte sie, weil sie das Vorlesen allein geschafft hatte. Dann weinte sie, weil sie sich an die Angst erinnerte“. Daraufhin erzählte Klaus, der noch nie gesprochen hatte, zuerst unverständlich, dann zunehmend klarer, wie er einst mit seiner Mutter spazieren gegangen war, das Leuchten eines Herbsttages bewunderte, sah wie die Mutter stürzte und er ihr beim Aufstehen helfen musste. Karin Barby, aus einem anderen Schreibkreis, formulierte: “Die Realität wird  mich einholen.“
Dorothea Iser hörte zu, schwieg, erkannte: „viel Einsamkeit verbirgt sich hinter den Gardinen“. Nur langsam konnte sie einige Sätze aufklauben, aus Bruchstücken gestaltete sie Kurztexte, nahm keine eigenen Eingriffe vor, glättete sanft und selten Wiederholungen, die der seelische Schmerz schuf. Später konnte sie einige Partner zu eigenem Lesen vor Publikum ermutigen. Für die Beteiligten wurde dies Erleben zu einem großen Erlebnis der Selbstfindung.  Die Einladende öffnete mit Sanftmut, Zuneigung, freundlich beharrlich Herzen, und sei es auch nur für einen Augenblick, der  Menschsein vermittelt.        
Martin Schmidt und das Publikum bedankten sich herzlich bei Dorothea IserSechs Anthologien mit den dabei geschaffenen Texten entstanden in den Jahren, aus einigen las Dorothea Iser beeindruckende Texte, z.B. aus “Fluchtwege“, „Verrückt nach Leben“, und aus „Weiß blüht der Mohn in der Dämmerung“, der dem Abend den Titel lieh. Sie machten betroffen, prägten sich ein, da riefen Mitmenschen um Hilfe. Und sie mahnen, das eigene Leben, Walten und dessen mögliche Gefährdungen zu bedenken. Der Abend ermutigte zum Selbstfinden. Das anschließende Gespräch bedurfte erst eines stillen Nachklingens.  Dorothea Iser hatte ihre Zuhörer und deren Herzen und Sinne erreicht. Sie lenkte die Blicke auf eine eigene, oft nicht erkannte Welt innerhalb der unseren.                                                                                                                                                                           

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