Wie ein warmer Sommerregen - so überraschend, so frisch, so belebend - so erwies sich Prof. Dr. Carsten Gansel für den Hoyerswerdaer Kunstverein bei dessen Gesprächsabend am Schlosskamin, der die neuere deutsche Literatur zum Thema hatte.
Gansels Vorhaben, ein Gesamtbild deutscher Literaturgeschichte von der Zeit nach 1945 bis nach 1989 zu entwerfen und es in seiner Vielgestalt geradezu bildlich aufscheinen zu lassen, erwies sich zweifelsohne als Herausforderung; nicht zuletzt wegen des schmalen Zeitrahmens. Dennoch: Das Vorhaben gelang - zur Freude der Zuhörer.
Suche nach bewohnbarem Land
Leitmotivisch für die Mehrheit der an jenem Abend betrachteten Schriftsteller ist ihre Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte. Mit dem Apparat, dem Staat und dem System, welches ihre Lebens-Umstände diktiert. Daraus ergibt sich die Hinterfragung nach der Berechtigung dieses Diktats - und die Suche, bestenfalls sogar die Bereitstellung von, Alternativen. Der gemeinsame Nenner findet sich in der Suche nach einem bewohnbaren Land. Einem Land, in dem deutsche Kultur nach zwölfjähriger Vergewaltigung durch den Nationalsozialismus sich nun rehabilitieren will.
Fruchtbarer Ost-West-Konflikt
Was die Regierung versäumt, nämlich das Reden über Geschehenes, das Vermitteln von künftig Gewolltem, bleibt dem Volk dringendes Bedürfnis. Diesen Mangel suchen die Schreibenden auszugleichen: Unaussprechliches auszusprechen - jeder auf seine Weise. Das beschert Deutschland eine Vielfalt an Wort- und Sprachneuschöpfüngen. Zusätzlich (künstlerisch!) fördernd wirkt sich die Zersplitterung Ost-West aus.
Während laut Gansel Literatur in der BRD eher „aphoristisch“ betrieben wird, ist sie in der DDR tendenziell ernsthafter, appellierender, eher existenziell. Schriftsteller und Politik glauben sich anfangs am gemeinsamen Werk: Schaffen der sozialistischen Gesellschaft! Literatur soll reales Leben und politische Ideale harmonisieren. Der Autor wird zum „Kampfgenossen“ und erfährt im Gegenzug hohe gesellschaftliche Wertschätzung.
Sackgasse Endgültigkeit
Im Westen dagegen bleibt Literatur weitestgehend selbstständig; muss sich jedoch andererseits dem marktwirtschaftlichen Kampf um Präsenz, Verteilung und Behauptung unterwerfen.
Der Versuch der ostdeutschen Politik, mit Hilfe von Literatur den privaten Raum des Bürgers zu erobern und einzufärben, stößt zunehmend auf Widerstand. Gepriesene „Kontinuität im Lebensweg“ entlarvt sich als Erstarren. „Wer wollte schon mit 22 Jahren am Endpunkt angekommen sein?“ Gansel glaubt, dieses Gefühl der Endgültigkeit habe viele in eine Lebenskrise gestürzt. Auch die Autoren, die die Unerfüllbarkeit der politischen Idee begreifen, aber gerade dies nicht thematisieren sollen.
Der Schriftsteller als Retter
Gansel wirbt leidenschaftlich dafür, Sprache nie ungesehen von Zeit, Umstand und Schreibendem zu betrachten - nicht damals, nicht heute. Dass Literatur im Multi-Media-Zeitalter scheinbar (!) geringere Beachtung erfährt, sieht er ohne Wehleidigkeit: „Literatur ist nicht tot zu kriegen. Sie muss sich auf ihre Stärke berufen: Das Geschichten-Erzählen. Sie spielt heute eine veränderte Rolle. Aber sie erleidet keinen Verlust.“
Abschließend will er das Bild vom Schriftsteller als Befreier festgehalten wissen. Als Garant von Moral, Bildung und kritischem (Nach-) Denken. In Zeiten politischer und geistiger Unfreiheit ist sein Schaffen (über-) lebensnotwendig. Leben im Schlaraffenland hingegen raubt den Antrieb. Heute brauchten wir dringender als je einen, der uns rettet, bewahrt: Vor minderer „Kunst“ und eigener Verrohung. Einen, der unser Land, mithin uns: Bewohnbar macht.

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