Euphorie und Resignation liegen nahe beieinander
Helene Schmidt und Angela Potowski lesen Texte von Brigitte Reimann 1933-1973), Martin Schmidt moderiert.
Ein Schriftsteller lebt in zwei, wenn nicht sogar in mehreren irdischen und geistigen Welten. Und Brigitte Reimann zeigt in ihren Büchern und Tagebüchern, dass sie sehr bewusst für ihre geistige Tätigkeit als Schriftstellerin ein pralles Leben benötigt, dass leiblicher Genuss und Faszination an der geistigen Arbeit nicht voneinander zu trennen sind. Euphorisch kann sie einer Idee nachhängen, die sie bei jeweils neuer Erkenntnis scharfsinnig und unbarmherzig kritisiert. Davon war an diesem Abend eine Menge zu hören.
Martin Schmidt schafft es immer wieder, mit neuen kleinen Geschichten das kurze Leben von Brigitte Reimann spannend zu erzählen und die Ausstrahlung ihrer Person und ihrer schriftstellerischen Arbeit zu würdigen. Beweis hierfür sind die Übersetzungen ihrer Werke in aller Welt, die von Frankreich über Spanien bis Indien reichen. Er berichtet von ihrer Freundschaft zu Schriftstellerkollegen, wie Wolfgang Schreyer, Helmut Sakowski und Reiner Kunze, die sie lebenslang begleiten. Christa Wolf wird ihr besonders in den letzten Lebensjahren der Krebskrankheit eine hilfreiche Partnerin und Freundin. Das Besondere an Brigitte Reimann war, dass sie die Weltliteratur nicht nur gelesen, sondern auch verstanden hatte und dass sie die Arbeiten ihrer Schriftstellerfreunde ebenfalls las und mit ihnen darüber disputierte, dass sie Meinungen anderer akzeptierte, auch wenn sie ihren Überzeugungen entgegen standen. Von all dem konnte man sich in den von Helene Schmidt und Angela Potowski ausgewählten Texten der Reimann überzeugen, vorgetragen mit viel Wärme und hervorragendem Sprachklang. Mit ihren Stimmen verzaubern Helene Schmidt und Angela Potowski auch immer wieder die vielen Teilnehmer an den Reimann-Spaziergängen, die regelmäßig durch Hoyerswerda angeboten werden.
An diesem Abend kamen Briefe und Tagebucheintragungen zu Gehör und sehr viele Briefe an die Jugendfreundin Veralore Schwirtz. Sie geben Auskunft über Lebensgeschichte und Zeitgeschichte, über Brigitte Reimann, die über Euphorie und Resignation genau so berichtet wie über ihre Freude am Leben und über die Verletzungen, die sie erfährt und über solche, die sie anderen zufügt.
Besonders der Brief an Veralore vom 30.03.1972 ist ein kurzer Lebensabriss, den sich Brigitte Reimann selbst schreibt: von einer höchst lebendigen Frau, die... eine Menge Männergeschichten hatte und eine Menge Dummheiten beging... die Hinterhofwohnungen und Luxusbars kennenlernte... die Schreiben immer für wichtig hielt... mal ganz unten und mal ganz oben war... Es war einmal und es war gut so, auch das Schlimme und Dreckige war in seiner Art gut.
Insgesamt stellten die Akteure ein gelungenes Porträt einer zu Unrecht von den Bürgern der Stadt Hoyerswerda nur zögerlich anerkannten Dichterin vor.