Vom Ehrgeiz junger Leute und ihren Erwartungen

„Die Unvollendete“ - ein Feature von Ines Burdow über Brigitte Reimann: vorgestellt an einem Gesprächsabend mit Ines Burdow, Jürgen Schulz, dem emeritierten Professor Hans-Wolfgang Lesch, Lüneburg und dem Kunstverein Hoyerswerda.

Ines Burdow zum Gesprächsabend in HoyerswerdaMan glaubt gar nicht, wie viel Neues noch immer bei Brigitte Reimann (1933-1973) zu entdecken ist. Einen Teil davon hat Ines Burdow ans Licht geholt in einer "kurzen Berührung mit jemandem, der spürt, dass der Andere ihm vertraut ist". Die Fülle der Entdeckungen ist immer wieder erstaunlich, vor allem deshalb, weil das Leben dieser Schriftstellerin nicht einmal 40 Jahre währte und die Kraft ihrer emotionalen Sprache nachklingt bis heute. Brigitte Reimann kannte die Vielfalt und den Wert der Weltliteratur und doch wollte sie einen Platz unter Schriftstellern finden, der nur zu ihr und zur Intensität ihres Geistes passte. So entsteht unverwechselbar Brigitte Reimann. Nach Marcel Reich-Ranicki klingt aus ihren Tagebüchern eine leidenschaftliche Erzählweise, in der der Odem großer Literatur weht. Wenn Brigitte Reimann etwas zu sagen hat, sucht sie ihre Themen in der Gegenwart und weicht niemals in die Historie aus, obwohl das Wissen von Jahrhunderten in ihren Büchen hindurchschimmert.
Ines Burdow beginnt ihr Hörspiel mit einem Zitat aus einem Theaterstück, das sie selbst im Jahr 2006 für und über Brigitte Reimann schrieb: "Nein, ich gehöre euch nicht und doch seid ihr meine Väter" . Wie sie weiter erzählt, wusste sie nicht viel von Brigitte Reimann, bevor sie mit Theaterstück und Hörspiel begann. Sie fragt: "Tut Kleingeist weh? Aber Sehnsucht, Sehnsucht tut weh. Dein Herz bleibt zurück als federleichter Stein, deine Ideale wispern als Windhauch in den Zweigen und fallen im Frühjahr als Kirschblüten herab." Diesem Balance -Akt zwischen Ideal und Wirklichkeit geht sie bei Brigitte Reimann nach, diesem Merkmal der Dichter in der Gesellschaft von der Antike bis heute, für Dichter, die sensibel und neugierig, fast schmerzlich, ihre Umwelt erfühlen und beschreiben. Es geht ihr um die alte Geschichte von den großen Erwartungen und dem Ehrgeiz junger Leute und darum, was aus ihren Entwürfen und aus den Plänen ihrer Jugend wird.
Über diese Bedrängnisse des menschlichen Seins forscht Ines Burdow in den Büchern, Briefen und Tagbüchern der Reimann, befragt Freunde und Angehörige, und so entsteht, vor allem durch die Erzählform im Präsens, ein sehr lebendiges berührendes Bild dieses Lebens. Zu Wort kommen der Freund aus Neubrandenburg, Jürgen Schulz, die Geschwister Ulrich und Ludwig Reimann, der Schriftsteller Wolfgang Schreyer, Martin Schmidt vom Kunstverein Hoyerswerda und nicht zuletzt die langjährige Freundin Irmgard Weinhofen, bekannt aus dem Briefband "Grüß mir Amsterdam".  Brigitte Reimann ist in einem Interview aus den 60er Jahren im Originalton ebenfalls zu hören.
Berührend an Brigitte Reimann, dass sie fast nichts beschönigt, weder sich selbst noch die Gesellschaft, in einer leichten und zugleich kritischen Schreibart, der man die Erzählfreude anmerkt, von himmelhochjauchzend bis zum Tode betrübt. Das alles ist in dem Hörspiel wunderbar verarbeitet und begeisterte die Zuhörer bis zum Schluss. Der letzte Satz aus dem Roman "Franziska Linkerhand", den Brigitte Reimann kurz vor ihrem Krebstod schrieb, lautet: F. hatte den Zweikampf verloren, noch ehe sie ihn antrat. Ines Burdow jedoch trägt dazu bei, dass dieser Zweikampf nicht verloren wird, dass sich der sehnlichste Wunsch Brigitte Reimanns erfüllen kann, dass etwas bleibt von ihr, damit sie nicht umsonst auf der Welt gewesen sei. 
Hörspiel und Interviews in voller Länge sind nachzuhören in: MDR Figaro, das Kulturradio.
(Mit freundlicher Genehmigung von Sächsische Zeitung, Hoyerswerdaer Tageblatt. Der Beitrag wurde am 08.03.2013 als Auszug veröffentlicht.) 


Angela Potowski und Professor Hans-Wolfgang LeschDer emeritierte  Lüneburger Literatur-Professor Hans-Wolfgang Lesch ist Vorstandsmitglied der Brigitte-Reimann-Gesellschaft Neubrandenburg. Er kennt excellent die DDR-Literatur und plädiert dafür, diese auch stärker in den Lehrplan der Schulen zu integrieren. Brigitte Reimann zählt für ihn zu den wichtigen Autoren dieser Zeit. Nach seiner Aussage gehört Brigitte Reimann an den Schulen in Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern bereits zur Pflichtliteratur. Er wird Angela Potowski, Deutschlehrerin am Lessing-Gymnasium Hoyerswerda, unterstützen, in Sachsen ähnlich zu verfahren.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.