Pilgern - eine Modeerscheinung?

Beate Grus und Monika Gerdes v.l. beim Kunstverein in HoyerswerdaBeate Gruß und Monika Gerdes erzählen beim Hoyerswerdaer Kunstverein von ihrer Pilgerreise 2011 auf dem Jakobsweg VIA REGIA in Polen von Brzeg (Brieg) bis Görlitz .
Als Pilger wird schon über Jahrhunderte ein Mensch bezeichnet, der vorzugsweise zu heiligen Stätten zu Fuß geht und dort als Fremdling ankommt, was im Lateinischen ein peregrinus war, bevor er zum Pilgrim wurde und später nur noch Pilger hieß. In unserer Zeit wird so eine Pilgerreise als Fernbleiben vom Alltäglichen verstanden und zeigt die Sehnsucht des Menschen nach einer anderen Welt als diese, in der er lebt. So, wie die Israeliten beim Auszug aus Ägypten auf der Suche nach einem besseren Land waren, was vorhersehbar materiell schlechter war als die "Fleischtöpfe Ägyptens". Sie hatten eine Ahnung davon, dass ihnen auf dem Weg etwas Wichtiges begegnen würde, das ihr Dasein existentiell verändern könnte.
Eine ähnliche Motivation veranlasste auch die beiden Pilgerinnen, Beate Gruß und Monika Gerdes aus Bautzen zu einer Pilgerreise auf einem Abschnitt der VIA REGIA in Polen. Sie gingen zu Fuß etwa 20 km am Tag von Brzeg bis Görlitz. Daraus entstand eine Reportage für das Radio des MDR von Monika Gerdes. Diese Reportage war an diesem Abend zu hören und wurde auf eine ganz spannende Weise mit den entsprechenden Bildern der Pilgerreise untersetzt. Für die Zuhörer ein sehr berührendes Erlebnis.
Man konnte nachempfinden, wie den Pilgerinnen das Gehen immer mehr zu einem Verschmelzen mit der Natur wurde, dass die Natur auf sie zukam, ebenso wie die vielen Menschen, denen sie begegneten auf dem Jakobsweg. Alle Erlebnisse wurden zu einem Genuss der Sinne. Aber nicht nur das. Zu den Tugenden eines Pilgers zählt neben Nächstenliebe, Demut, Klugheit und Tapferkeit auch die Entbehrung. Entbehrungen allerdings machte die berühmte slawische Gastfreundschaft der Pfarrhäuser und Familien, bei denen sie vorsprachen und übernachteten, unmöglich. Die Pilgerreise wurde eher zur Genussreise auch im wörtlichen Sinne von Essen und Trinken. Diese Gastfreundschaft unterscheidet den Abschnitt des Jakobsweges in Polen von anderen in Westeuropa, dort muss sich jeder Pilger selbst um Nahrung kümmern, nur die Unterkunft wird in den Herbergen gewährt. Allerdings ist eine Anmeldung in den polnischen Herbergen sinnvoll. Monika Gerdes und Beate Gruß hatten deshalb ihre Quartiere vorher angemeldet und hatten manchmal alle "Beine" voll zu tun, diese zu erreichen, wenn sie freiwillig oder unfreiwillig einen Umweg nehmen mussten, weil der Weg nicht genügend mit der berühmten Jakobsmuschel ausgeschildert war. 
Beate Grus und Monika Gerdes mit der dritten Pilgerin Julia und einem freundlichen Schlossherrn vor Schloss WojnowiceAlle Kirchen, Klöster und Schlösser am Weg wurden besucht, in Wroclaw von der Jahrhunderthalle begrüßt, die Dominsel durchwandert und das berühmte Restaurant "Zu den Greifen" mitten am historischen Marktplatz besucht, das zum genussreichen Verweilen einlud. Auch ein Weingut, man hat richtig gehört, ein Weingut liegt am Pilgerweg, das Reben aus der Slowakei kultiviert, und in dem neben dem Polnisch der jungen Winzerin auch Schwiizerdütsch zu hören ist.
Ein wichtiger Wegbegleiter auf dem Jakobsweg in Polen, eher eine berühmte Begleiterin, ist die heilige Hedwig von Schlesien, die als mildtätig und selbstlos verehrt wird und die zur Symbolfigur aller Vertriebenen wurde und sicher als Heilige den Pilgern wohl gesonnen ist. Über Legnica, Zlotoryja und Luban ging es weiter bis Görlitz. Hier in Görlitz treffen sich gleich mehrere Jakobswege auf der gleichen Route, der Ökumenische, der Niederschlesische, der Zittauer und die VIA REGIA.
Am Ende des Weges macht sich bei den Pilgerinnen Wehmut breit, dass man sich trennen muss und dass der Weg nicht länger war. Angefüllt mit wunderbaren Erfahrungen, mit Stille und mit freundlichen Begegnungen in einer anderen Kultur war er auf alle Fälle. Angeregt durch diesen Vortrag konnten die Zuhörer darüber nachdenken, ob es vielleicht wieder modern ist, dass man pilgert oder ob das Pilgern nicht eher einem inneren Drang des Menschen folgt, seiner Bestimmung im Leben abseits vom Lärm nachzuspüren?