Ein engagierter Zeitzeuge sprach über das vergangene Jahrhundert


Martin Schmidt (links) bedankt sich bei Dr. Petersen für den interessanten Vortrag Zum dritten Mal war Dr. Andreas Petersen Gast des Hoyerswerdaer Kunstvereins bei dessen Gesprächen am Kamin im Schloss. Seinen vorigen Themen fügte der Historiker aus der Schweiz auf eigene, beeindruckende Weise einen Rückblick auf das vorige Jahrhundert hinzu. Zeitzeuge war Erwin Jöris, der in der vorigen Woche seinen 100. Geburtstag in Köln beging. Dieser unbeugsame Mann, „ein Zeuge, der keiner sein durfte“, wie ihn die Zeitung „der Freitag“ zu seinem Jubiläum nannte, hatte alle Höllenndurchlebt, die Machthaber des 20.Jahrhunderts für Mitmenschen schufen: Gestapo- Gefängnis, KZ Sonnenburg, Kriegseinsatz, Verwundung, Gefangenschaft, NKWD-Verhöre , sieben Jahre Lagerhaft in Stalins Gulag , Arbeit im 900m tiefen Steinkohleschacht im Dauer- Eisboden von Workuta. Dort und auch später begegnete Erwin Jöris in Ost und West Menschen, die er als bewusste oder willkürlich handelnde Mittäter des Nazi-Regimes erlebt hatte. Er litt darunter, dass er über seine Erlebnisse auf einer Seite nicht erzählen durfte, auf der anderen nur widerwillig angehört oder gar abgelehnt wurde. An diesem Abend berichtete Erwin Jöris per Film- und Tonaufnahmen ungehindert von den Gefährdungen seines Lebens. Dr. Petersen bewahrte sie in seinem Buch „Deine Schauze wird dir in Sibirien zufrieren“ für die Öffentlichkeit. Diese Texte beeindruckten, weil der völlig schuldlos Verfolgte nicht klagte, sondern bewegt von seinem Leben, seinen Hoffnungen und seinem unbeugsamen Willen erzählte , seine Ideale, zu denen er sich bereits als junger Arbeitsloser bekannte, für die er litt, nicht aufzugeben. Er sprach vom Unrecht, das die Diktaturen des 20. Jahrhunderts begingen, von Menschen, die beliebig von einer zur anderen politischen Haltung , zwischen völlig gegensätzlichen Positionen um eigener Macht willen wechselten. Unter denen und ihren Verleumdungen litt der Aufrechte wiederholt. Er blieb sich treu. Im Gespräch einigten sich Referent und Zuhörer, dass jungen Menschen diese Zeiten und ihre Fehler vor allem durch Gespräche mit Zeitzeugen nah gebracht werden können. Nicht Darbieten theoretischer Thesen, sondern eigenes Erarbeiten von Biographien und Haltungen präge Wissen und Charakter, wurde gesagt. Wird dazu den Lehrern genug Zeit und Spielraum in einem immer mehr formalisierten Schulsystem eingeräumt, muss gefragt werden. Der Kunstverein und seine Partner, die Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und das Bildungswerk für Kommunalpolitik, werden diesem Anliegen weiterhin folgen, um den jungen Leuten eigenes Urteilen über Fehler, Schwächen und Irrtümer der Geschichte zu ermöglichen. Als nächstes sind Vorträge und Diskussionen zu direkter Demokratie, wie sie in der Schweiz geübt , gelobt oder kritisch betrachtet wird, mit Vertretern aus der Schweiz, wo sie stattfindet, geplant.