Charles Dickens – 200 Jahre - und doch höchst aktuell
Am Donnerstag der vergangenen Woche erlebte der Hoyerswerdaer Kunstverein wieder einmal mehr, dass engagierte Literatur über die Jahrhunderte aktuell bleibt. Beim jüngsten Gespräch am Kamin stellte der Berliner Autor Jürgen Israel den englischen Romancier Charles Dickens (1812-1870) vor. Ihm verdankt die Literaturgeschichte den ersten sozialen Roman, der auch zu dem bis heute anhaltenden Ruhm dieses Schriftstellers beitrug. Verfilmungen seiner Bücher, ständige neue Auflagen von dessen 15 Romanen und Dickens-Gesellschaften in vielen Ländern beweisen seine Bedeutung heute. Diese Wirkung liegt zum einen begründet in der Darstellungskraft des Autors, zum anderen in einem Eintreten für die Ärmsten der Gesellschaft, seinem Protest gegen Kinderarbeit und gegen die Ausbeutung unterprivilegierter Schichten. Dickens konnte die Personen seiner Erzählungen und Romane so lebendig, wirklichkeitsnah schildern, weil er selbst in seiner Kindheit und Jugend unter gleicher Not wie sie litt und sich mühsam den Lebensunterhalt für sich und seine elterliche Familie erarbeiten musste. Hätte der zwölfjährige Charles nicht in einer Schuhfabrik das Geld für seine Eltern und seine sieben Geschwister erarbeitet, d.h. den Schulbesuch aufgegeben, da sein Vater im Schulgefängnis saß, hätten sie nicht überleben können. In diesen Jahren und danach lernte Charles Dickens die Elendsviertel Londons kennen, die später als die Ärmsten der Armen, mit den zwielichtigen Gestalten, mit den aus Not zu Verbrechern werdenden Menschen, Eingang in seine Bücher fanden. Dabei lenkte er immer wieder den Blick auf die Kinder, die keine Hilfe erhielten, die untergehen oder ausgebeutet wurden. Die untergingen angesichts der Ausbeutung. Der Preis für die rasante Industriealisierung in Europa jenes Jahrhunderts war nicht gerechtfertigt, darauf weist Dickens hin, er mahnt Änderungen und Gerechtigkeit ein. Und dies nicht durch Appelle, durch große Worte, sondern durch seine Bücher, durch die liebenswerten Gestalten in seinen Büchern, die das Gewissen der Menschen bis heute bewegen. Es gehört zur Tragik unserer Zeit, dass diese Verhältnisse in manchen Regionen der Erde immer noch bestehen, während in anderen Ländern Hochrüstung betrieben und überflüssiger Komfort gepflegt werden. Dieser Abend verlockte zum Lesen der Bücher, ließ die Kunst von Charles Dickens bewundern, gab für Nachdenken und zu Gesprächen reichlich Inhalt. Darin liegt das Ziel dieses Kunstvereins seit seiner Gründung: mit Mitteln der Kunst die Sinne für die Mitmenschen und für die Aufgaben in der Welt offen zu halten. Jürgen Israel folgte einmal mehr in der langen Kette seiner Vorträge diesem Anliegen seiner Zuhörer und Freunde. Er schenkte Freude beim Zuhören, weckte Neugier auf das Gespräch miteinander und verlockte zum wiederholten lesen der Bücher von Charles Dickens.