Eine Gratwanderung zwischen Komödie und Tragödie

Maik Hamburger in Hoyerswerda

Das Theaterstück "Der Kaufmann von Venedig" von William Shakespeare (1564-1616) erzählt ganz in der Tradition einer Komödie von der Liebe zu der schönen Portia, die nur durch Geist und Gefühl und natürlich auch mit einem entsprechenden Kapital zu erringen ist. Der da wirbt und am Ende mit viel Gespür vor den anderen Bewerbern siegt, ist Bassanio, ein junger Venezianer mit wenig Kapital. Er hat einen "wirklich wahren" Freund, Antonio, der für ihn das Geld beim Juden Shylock leiht. Als Pfand dient die reiche Handelsflotte Antonios, die auf den Meeren der Welt unterwegs ist. Shylock verzichtet auf die sonst üblichen Wucherzinsen zugunsten einer Vereinbarung, die ein Spaß sein soll. Falls die Schiffe ausbleiben, gehört "ein Pfund Fleisch" aus Antonios Körper dem geschäftstüchtigen Juden. Dieser Fall tritt natürlich ein, denn wo sonst käme die Spannung für ein Theaterstück her? Shylock besteht unnachgiebig auf seiner Forderung; Nächstenliebe und menschliches Verhalten sprechen ihm die Christen deshalb ab. 
Am Ende ist die Lösung des Falls eine juristische Spitzfindigkeit, die ähnlich aus den Märchen des Orients bekannt ist: dem Juden Shylock gehört zwar ein Pfund Fleisch aus Antonios Körper, nicht aber sein Blut, er kann das Fleisch also haben, aber bitte schön, ohne Blutvergießen. Vorgetragen wird dieses Urteil von der schönen Portia persönlich, in der Rolle des jungen Advokaten Balthasar. Natürlich gibt es ein Happy End im Sinne der Shakespeare-Zeit, der Jude Shylock verliert einen großen Teil seines Vermögens und muss zum Christentum konvertieren, die Paare finden sich, Antonios Schiffe kehren zurück, aber er hat mehr verloren als gewonnen, denn der Freund Bassanio schenkt seine Liebe nunmehr Portia. 
Maik Hamburger, Dramaturg und profunder Kenner und Übersetzer Shakespeares, erzählt von den Aufführungen diese Schauspiels über die Jahrhunderte und von dem Bruch, der eintrat nach Auschwitz und dem Holocaust, er erzählt von den Schwierigkeiten der deutschen Theatermacher mit diesem Stück nach dem 2. Weltkrieg.
Hat Shakespeares Theaterstück den Antisemitismus geschürt, ja oder nein? Wie sollte man heute dieses Stück inszenieren, sollte man überhaupt? Am Ende bleibt Maik Hamburger die Antwort schuldig. Aber er hat die Zuhörer ungemein sensibilisiert, indem er aus verschiedenen Blickwinkeln das Stück beleuchtete. Mit einer "dramaturgischen" Idee versetzt er die Zuhörer in das Theater der Shakespeare-Zeit, in das Globe-Theater nach London. Ein Theater direkt an der Themse, inmitten eines großen Vergnügungszentrums, in dem es galt, Zuschauer anzulocken, dazu ist Action unabdingbar, damals wie heute. Nun muss man wissen, dass das Globe-Theater kein "Guckkastentheater" ist, wie Maik Hamburger erläutert, sondern, ein Theater mit einem engen Kontakt zwischen Schauspieler und Publikum, zwischen der Bühne und einer Arena unter freiem Himmel. Für die Honoratioren und gut Vortrag von Maik Hamburger im Schloss HoyerswerdaBetuchten gibt es allerdings drei Ränge, die die Arena umschließen, natürlich überdacht und mit einem Service für Speis und Trank.
Diese Art von Theater gewährt dem Schauspieler eine größere Freiheit der Darbietung, verlangt aber auch ein enormes Können, indem den Reaktionen des Publikums spontane Aktionen folgen müssen. Damit wird jede Vorstellung lebendig und einmalig. Man könnte sich also vorstellen, das Shakespeare gerade diese Wirkung beim "Kaufmann von Venedig" beabsichtigt hat und eine Diskussion führen will. Über die Person des Shylock will er den Wucher anprangern, gleichzeitig aber auch auf die eigenen Unzulänglichkeiten hinweisen, wenn er auf die Anfeindungen gegen Shylock diesen antworten lässt: Wieso verachtet ihr mich und haltet euch gleichzeitig Sklaven, auf deren Kosten ihr lebt und sie bis aufs Blut aussaugt?
Zum anderen stehen auch die Ziele der Reformartoren zur Diskussion: Gnade soll vor Recht ergehen: das Christentum beruft sich auf Gnade als höchstes Gut, das Judentum auf das Recht. Gnade ist also von Shylock nicht zu erwarten. Das blutige Ende wird nur durch die Juristen verhindert. Maik Hamburger überlässt nun jeden Zuhörer seiner eigenen Fantasie für eine Antwort, mitten im Globe in London, und das ist ungeheuer spannend. Vielleicht kommt man dabei Shakespeare sehr nahe, der nicht unbedingt fertige Lösungen anbieten wollte, sondern Theater auch als politische Bühne verstand, mit Rede und Gegenrede.