Wo treffen sich Wissenschaft und Religion?
Prof. Peter Stosiek zur Frage Gott oder Medizin?
In unserer heutigen Gesellschaft beginnt man spürbar mit der Ächtung die Gewalt. Vielleicht die wichtigste Aussage in dem interessanten vom Fachwissen eines Mediziners und von den ethischen Auffassungen eines Christen getragenen Vortrags von Prof. Stosiek. Ausgehend von der zügellosen Gewalt in der menschlichen Geschichte bis zum Beginn des Verzichts auf Gewalt ist ein langer Weg. Diesen Weg ebneten bedeutende Religionslehrer aller monistischen Religionen ebenso wie hervorragende Naturwissenschaftler, besonders solche der Medizin über Jahrhunderte hinweg. Allen gemeinsam ist ein hohes ethisches Maß für das Wesen des Menschen. So berichtet Prof. Stoisek eindrucksvoll von der "Erleuchtung" des Moses, der plötzlich wusste, dass das "Du sollst nicht töten" ein Gebot Gottes ist, das für alle Menschen gleichermaßen gilt, dass jeden Menschen ohne Ausnahme für unantastbar hält. Zu dieser Zeit eine Ungeheuerlichkeit. Töten war Recht und Pflicht der Mächtigen, Rache, Blutrache und Menschenopfer waren gang und gäbe.
Dieses Gebot "du sollst nicht töten" gibt auch heute noch Anlass zu vielen Fragen. Wie wir wissen, hielten sich die Wenigsten, weder die Völker aus Ost und West, noch die Völker des christlichen Abendlandes an dieses Gebot. Im Namen Gottes wurden Kriege geführt und Waffen gesegnet, wurden Menschen von der Inquisition zu Tode gebracht, wurden Hinrichtungen zum Volksfest inszeniert, wird in den Diktaturen der Neuzeit gemordet im Namen eines Gottes oder einer Ideologie. Und auch heute werden Rufe laut, Verbrechen mit der Todesstrafe zu ahnden.
Doch nicht nur der "Mord im Großen", auch der Mord "im Kleinen" wirft hoch brisante Fragen auf für die Mediziner von heute, die vor dem Problem stehen, wann dürfen sie töten? Und Professor Stosiek bezeichnet seine Haltung symbolisch als ein Leben zwischen den Stühlen, was sagen ihm Gewissen und christlicher Ethos, wenn er einen Beratungsschein zur Abtreibung ausstellt, was ist mit der Zeugung von Leben im Reagenzglas, wenn dort eine willkürliche Auswahl einer befruchteten Zelle aus vielen getroffen wird? Kann man als Naturwissenschaftler glauben, dass es Gott oder Jahwe oder Allah gibt? Steht das Ausstellen des Abtreibungsscheins oder das Töten eines ungeborenen Kindes, um das Leben einer Mutter zu retten im Widerspruch zum Glauben an einen Gott und sein Gebot "du sollst nicht töten"? Die Wissenschaft steht vor den gleichen Fragen wie die Philosophen oder Religionswissenschaftler: Wann beginnt das Leben eines Menschen?
Das wird noch heute unterschiedlich interpretiert, Prof. Stosiek vertritt die auch gesetzlich festgelegte Frist, dass bis zur zwölften Schwangerschaftswoche "menschliches" Leben nicht existiert, welches abhängig ist von den Funktionen des Gehirns und der inneren Organe, von einer "Seele".
So kommt er zu dem Resümee, dass das Fragen nach Gott oder Medizin nicht zielführend ist, es ist eher danach zu fragen, was beide eint. Und bei näherem Hinsehen, ist es viel mehr, als gemeinhin angenommen. Wissenschaftler sind sich einig, dass die Wissenschaft die Wirklichkeit niemals ganz erfassen kann und dass im Gegensatz dazu Menschen nur aus ihrer "Offenbarung oder Intuition" heraus zu Erkenntnissen gelangen, die sich aus Beobachtung und Experiment nicht erklären lassen und die die Wissenschaft manches Mal erst viel später staunend beweisen wird. Welche inneren Kräfte sind bei einem Mozart am Werk, bei einem Joseph von Eichendorff oder Goethe? Sie sind nicht aus Beobachtung und Experiment gewonnen.
Dadurch, dass sich Wissenschaft und Religion nicht mehr nur konträr gegenüber stehen, sondern in vielen Fragen einen Konsens gefunden haben, reagiert die Öffentlichkeit auf die Ausübung von Gewalt heute viel sensibler als noch vor Jahren und es wird eine Ahnung spürbar von der "zügellosen Gewalt hin zur Ächtung der Gewalt". Prof. Peter Stosiek leistet seinen Beitrag dazu.
P.S. Da die Sterbehilfe und das Älterwerden in unserer Gesellschaft ähnliche ethische Fragen aufwerfen, wird Prof. Stoisek wiederkommen mit einem Vortrag zu diesem Thema.