Ich habe gelebt und gelebt und gelebt.
Ein Dokumentarfilm über Brigitte Reimann (1933-1973) von Katharina Schubert, sie ist Grimme-Preisträgerin.
Es ist schon bemerkenswert, dass Brigitte Reimann über ihr Leben schreibt, ich habe gelebt und gelebt und gelebt, wenn sie das Leben mit dem Hirsebrei aus dem Märchen vergleicht, der unbemessen ist, und wenn sie später ohne Wehmut sagen kann: Du wagst Dauer, weil Du selbst nicht von Dauer bist. Katharina Schubert, die Filmmacherin aus Köln folgt diesem Weg Brigitte Reimanns von Burg über Hoyerswerda nach Neubrandenburg bis zum Abschluss ihres Lebens in der Berliner Charité. Nach einer Einschätzung von Martin Schmidt ist dieser Film wohl der authentischste, den es über Brigitte Reimann gibt, der ihr besser gerecht wird als jeder Spielfilm.
In der Dokumentation von Katharina Schbert erinnern ihre Lehrerin aus Burg, Siegfried Pitschmann, Walter Lewerenz, Helmut Sakowski und viele andere an die lebenshungrige, unangepasste, schöne Schriftstellerin Brigitte Reimann.
Burg, der Ort ihrer Kindheit, prägt sie in einem Elternhaus, in dem Literatur lebensnotwendig ist und in dem vier Kinder fröhlich aufwachsen trotz entbehrungsreicher Kriegs- und Nachkriegszeit. Man sieht sie dann als Lehrerin inmitten von Schülerinnen, die begeistert bei ihr lernen, weil sie lebendiger lehrt und diskutiert als andere Lehrer an der Schule. Diese Lebendigkeit und Lebensfreude schätzen an ihr alle, die ihr später begegnen, ihre Art, ohne Umschweife zu fragen, ohne falsche Rücksicht auf offizielle Meinungen, aber mit einer tiefen Zuwendung zu anderen.
Das schätzt besonders ihr zweiter Ehemann, Siegfried Pitschmann an ihr, mit dem sie 1960 nach Hoyerswerda kommt, beide sind Schriftsteller und beide arbeiten sie um des Verständnisses des Dichters zur körperlichen Arbeit in einem Großbetrieb im Kombinat Schwarze Pumpe, einerseits durch Partei und Regierung zu solchem Tun verpflichtet, andererseits aber auch als freiwillige „Forschung“ zur Inspiration und Erfahrung von Leben.
Brigitte Reimanns unerschöpfliche Phantasie und ihre überschäumenden Emotionen sind Anregung genug für beide, auch wenn Siegfried Pitschmann das im Nachhinein als ziemlich anstrengend empfindet. Als Brigitte Reimann nach Hoyerswerda kommt, hat sie bereits ihre ersten Erzählungen veröffentlicht, so auch „Die Frau am Pranger“, eine tief ergreifende, psychologisch reife Erzählung einer 23-jährigen Dichterin über die Liebe zwischen einer jungen Bäuerin und einem russischen Kriegsgefangenen, die am Ende beide ins KZ kommen. Die Erzählung „Ankunft im Alltag“ hat die 60-er Jahre in Hoyerswerda und in der DDR zum Thema, die durch Brigitte Reimann sinnlich erlebbar werden. Viele schätzen auch ihre Tagebücher, die nach dem Urteil von Marcel Reich-Ranicki ein „Parlando sind, in dem der Odem großer Literatur weht“.
Auch ihr wichtigstes Buch wird sie in Hoyerswerda schreiben: „Franziska Linkerhand“. Die junge Architektin Franziska Linkerhand erlebt die Ernüchterung von Architektur in der „Häuserfabrik“ von Hoyerswerda und wird nicht müde, ihre Visionen trotz allem zu verfolgen, gegen falsche politische Strategien anzugehen und für die junge neue Stadt eine Synthese „zwischen Heute und Morgen, zwischen tristem Blockbau und heiter lebendiger Straße, zwischen dem Notwendigem und dem Schönen“ zu erträumen. Sie ist sich sicher, eines Tages wird sie diese finden. Ein Apell, der uns auch heute nachdenklich stimmen sollte.