Dr. Wolfgang Wessig über junge ukrainische Literatur

Dr. Wolfgang Wessig

Sie tun, was man mit Literatur zu tun vermag, drei junge Autoren aus der Ukraine: Juri Andruchowytsch (geb. 1960), Serhij Zhadan (geb. 1974) und Taras Prochasko (geb.1968).
Denn es gibt, wie in der klassischen Antike und später in der deutschen Klassik, keine literarische Welt jenseits des gesellschaftlichen Ablaufs. Bei allen drei Schriftstellern fällt daher auf, dass sie sehr genau die politischen Verhältnisse ihres neuen Landes Ukraine widergeben, ihres Landes, das durch eine uralte Kultur geprägt ist, das in die Wechselfälle der europäischen Herrscher über Jahrhunderte verwoben ist, das zwar im Herzen Europas liegt, politisch aber heute am Rand, wie hinter einer neuen Mauer.
Dr. Wessig betont, wie in jedem seiner literarischen „Grenzgänge“, dass wir die Länder im Osten zu Unrecht kaum wahrnehmen, dass sie eine Fundgrube für authentische Literatur darstellen, für Literatur, die einen Ort hat und damit den „Ortskundigen“ inspiriert, das Seinige zu tun.
In seinem Roman „Zwölf Ringe“ lässt Juri Andruchowytsch einen Fotografen aus Wien auf der Suche nach seinen Wurzeln in das ehemalige, habsburgisch geprägte Galizien reisen, konfrontiert ihn mit den schwierigen Zuständen kurz nach der Wende, führt ihn mit Menschen zusammen, die alle irgendwie chaotisch sind. Erst allmählich, nach weiteren Besuchen, merkt Karl-Josef Zumbrunnen, dass das Bier inzwischen besser schmeckt, dass die Straßen sauberer werden und dass ihm die „schnapsinnige warmherzige Art“ der Ukrainer in der sterilen, unmenschlichen westlichen Welt fehlt, und er fängt an, dieses Land zu mögen und zu verstehen. Eine Liebeserklärung von Juri Andruchowytsch an seine Heimat und eine Dichtung, die aus dem Scheitern den Funken Hoffnung schlägt.
Bei Serhij Zhadan wird in dem Erzählband "Hymne der demokratischen Jugend" die Situation der russisch geprägten Ostukraine lebendig, Zhadan erzählt ironisch und ernsthaft zugleich, skurrile Begebenheiten über Organ- und Zigarettenschmuggel, über Prostituierte, Drogen und Zöllner, über die Schwierigkeiten, von der Ukraine bis nach Berlin zu kommen in einem endlosen Dschungel um ein Visum. Das alles in gewollt obszöner Sprache obwohl er an vielen Stellen erkennen lässt, dass er sich in der deutschen und russischen klassischen Literatur bestens auskennt; mit Literatur Mut zum Leben vermitteln, besonders für die junge Generation, scheint sein Anliegen.
Taras Prochasko befragt sich in seinem Erzählband „Daraus lassen sich ein paar Geschichten machen“ gleich selbst, wer ihn als Schriftsteller geprägt hat. Neben Kindergärtnerinnen und Lehrern, neben allegorischen und symbolträchtigen Figuren der Heimat Galizien ist es hauptsächlich der Vater, der zwar selten da war, der ihm aber beibrachte, wie man mit Werkzeug umgeht, wie man Salat pflanzt und Apfelbäume beschneidet, was man im Leben tun soll und was nicht, wie Fortschrittsglauben und Bodenständigkeit gegeneinander abzuwägen sind. Durch den Vater erlebt er die Welt als Literatur, der Vater musste keine Bücher schreiben, man hörte seine Prosa.


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