Vortrag von Dr. Wolfgang Wessig, Görlitz, zu Dr. Otto Julius Bierbaum (1865-1910).
Wenn einer die deutsche Sprache virtuos beherrscht, ist das an sich schon großartig, wenn dieser aber auch noch etwas zu sagen hat, wird es für den Zuhörer zu einemVergnügen, zu einem ganz besonderen Vergnügen aber, wenn die Sprache in schier unerschöpflichen Wendungen der Satire daher kommt und so brillant vorgetragen wird wie von Dr. Wolfgang Wessig. Die Rede ist von Otto Julius Bierbaum, eine Ehrung anlässlich seines 100. Todestages hätte er sich nicht besser wünschen können. Otto Julius Bierbaum war ein Vielschreiber, Lyriker und Kabarettist, auf der Bühne großer Literatur ebenso zu Hause wie in Varieté und Tingeltangel. Er ist Gründer von Kabaretts und Zeitschriften und Gründer des Inselverlages, den es bis heute gibt. Kein Genre der Schriftstellerei, das er nicht befördert hätte. Geboren wurde er 1865 in Grünberg, dem heutigen Zielona Góra. In seiner Biografie wird er später schreiben, dass seine Vorfahren einerseits aus der süßen Zuckerbäckerei stammen, zum anderen aus der sauren protestantischen Theologie, er sich aber frühzeitig einem anderen Laster verschrieben hat, dem Laster des Verse Machens. Sein Lebensweg verläuft chaotisch und trotzdem zielstrebig, immer auf der Suche nach einem Weg zu Erneuerung der Kunst vom Tingeltangel her: „Musik, Malerei und Dichtkunst über das Leben zu werfen, ohne dass einer erschlagen wird“. Das Erschlagen überlässt er lieber den Schlagern und Gassenhauern, diese Namen erfindet er für die eingängigen Lieder der Varieté- Bühnen. Er plant und gründet unermüdlich, wenn er scheitert beginnt er wieder von vorn. Seine Wirkungsstätten sind Leipzig, Dresden, Berlin und München.
Am 1. Februar 1910 stirbt er in Dresden. In seinen Romanen „Stilpe“ (1897) und „Prinz Kuckuck“(1907) beschreibt er auf tragikomische Weise das Leben im Wilhelminischen Kaiserreich und sein eigenes Leben. Heiter, grotesk und sehr genau beobachtend karikiert er in „Prinz Kuckuck“ eine Wahlveranstaltung, in der Felix Henry Hauart, alias Prinz Kuckuck, als Kandidat einer antisemitischen Partei in Wien gehandelt wird, eine selbstgefällige, phrasenreiche Rede hält, die die Anwesenden beeindruckt. Letztlich aber scheitert er an seiner jüdischen Herkunft. Bezüge zu ähnlichen Begebenheiten in unserer Welt sind nicht zu übersehen und machen trotz aller Heiterkeit betroffen. Ludwig Kunz aus Görlitz (1900-1976) beurteilt seinen Schriftstellerkollegen wie folgt: „Bierbaum zählt gewiss nicht zu den Fixsternen der deutschen Literatur, wohl aber zu den Kometen, deren Licht noch lange nachstrahlt.“ Nachgestrahlt hat es sicher auf keinen geringeren als Thomas Mann, der von Bierbaum beeindruckt war und möglicherweise in seinem satirischen Roman „Die Bekenntnisse des Hochstapler Felix Krull“ die geniale Erzählweise Bierbaums vervollkommnete.