Staunen über die Vielfalt der Bilder von Joachim Ringelnatz (1883 bis 1934)
Die Bilder von Joachim Ringelnatz standen im Mittelpunkt eines Vortrages von Beate Gruß, Bautzen. Doch kennen wir nicht Joachim Ringelnatz als Dichter, als Dichter satirischer Verse? Verse, die die Welt karikieren, skurril und humorvoll bitter, die lange im Gedächtnis bleiben?
Nur wenige aber kennen die Bilder von Joachim Ringelnatz, eine erstaunlich große Anzahl und Vielfalt. Beate Gruß stellt diese vor und trifft mit ihrer Betrachtungsweise den Nerv des Publikums. Sie folgt in den Bildern dem Leben des Dichter-Malers, das kein bisschen heiter war. So sind auch die Bilder melancholisch, düster und anklagend, oft ebenso skurril wie seine Verse.
Die Vorlage bildet ein Bildband von Jürgen Kaumkötter, einer von denen, die eine neue Sicht auf das Bildwerk von Joachim Ringelnatz eröffnen.
Kaumkötter schreibt: „Am Ende seines Lebens überstrahlt der Maler den Dichter. Aber, als er im November 1934 stirbt, waren die Weichen des Vergessens seiner Bilder schon gestellt… Zu weit entfernt ist das, was er malt, von seiner beliebten Dichtung“. Doch das scheint sich nun zu ändern. Die Zuhörer sind erstaunt über das, was sie sehen. Beate Gruß beginnt mit dem „Garten der Irrsinnigen“: auf einer Dachterrasse versammelt Ringelnatz so ziemlich alles, was dem Menschen im Leben Schlimmes widerfahren kann, immer nahe am Abgrund. Das Bild „Bumerang“ kommt dem gleichnamigen Gedicht sehr nahe, in dem es heißt: „War einmal ein Bumerang: War ein Weniges zu lang. /Bumerang flog ein Stück/ Aber kam nicht mehr zurück/ Publikum - noch stundenlang - wartete auf Bumerang.“ Im Hintergrund sind schemenhaft Elefanten zu sehen, davor ein übergroßer Zauberer und Menschen aus einem Zirkus, die nicht auf den Bumerang zu warten scheinen, sondern erbittert dreischauen, möglicherweise ob des Frevels an Tier- und Menschendressuren, Den stärksten Eindruck hinterlassen die Bilder der Einsamkeit, ein Kind sitzt im riesigen Vorrat an Holzstämmen der väterlichen Fabrik, aber allein; eine Frau allein am Weihnachtsbaum, die ihren Sohn beweint, der im Hintergrund an einem Galgen hängt; eine einsame Hütte in eisiger Gebirgslandschaft, ein vergessenes Kind vorm Haus auf einer Bank.
Selbst die Stücke zum Thema Seefahrt sind durchweg dunkel und bedrohlich. „Gestrandetes Schiff“: ein übergroßer Himmel, ein winziges Wrack, zwei noch kleinere Gestalten, die zum Wrack unterwegs sind. Alles wirkt verlassen und verloren. Selbst die Bilder mit Tieren zeigen nur eine bedrohte Kreatur. Ebenso wenig behaglich scheint die Zweisamkeit zu sein, die „Ballade“, dem Märchen Rapunzel nachempfunden: rötlicher bis grauer Hintergrund, einsamer Turm mit winzigem Mädchen, ein noch kleinerer Reiter, der zu ihr unterwegs ist. Und selbst in Bildern, in denen sich zwei wirklich nahe sind, ist die Umgebung düster, verwüstet oder einfach leer.
Rainer Gruß, ehemaliger Schauspieler am Bautzener Theater, begleitet den Vortrag mit den Gedichten von Ringelnatz die oberflächlich betrachtet, im Gegensatz zu den Bildern zu stehen scheinen. Aber bei genauerem Hinsehen sind die Bilder so tiefgründig, wie seine Verse.
Joachim Ringelnatz wird 1883 in Wurzen bei Leipzig geboren, führt lange Zeit ein unstetes Leben, als Seemann, als Gelegenheitsarbeiter, oft ist er arbeitslos. 1909 beginnt er mit Auftritten seiner Verse in der Künstlerkneipe „Simplicissimus“ in München, wird kaum bezahlt. Leonharda Pieper, die er Muschelkalk nennt, wird seine Frau. Beide wechseln nach Berlin und er tritt im Kabarett „Schall und Rauch“ auf, reist mit seinem Programm durch ganz Deutschland, was ihm zu einem bescheidenen Auskommen verhilft. Er widmet sich nun intensiv der Malerei, hat Ausstellungen und Auktionen, bei denen auch nur wenig verkauft wird. Seine finanzielle Situation bleibt zeitlebens angespannt. Im Alter von 51 Jahren stirbt er an Tuberkulose in Berlin. Seine Frau ordnet seinen Nachlass und sorgt für Veröffentlichungen. Dank an Beate und Rainer Gruß für diese interessante Begegnung mit Joachim Ringelnatz.