Zum Schreiben gehört eine gewisse Kühnheit wie zu allen wichtigen Unternehmen.

Zum 50. Todestag von Brigitte Reimann

015 018Die Stadtbibliothek Hoyerswerda gestaltete gemeinsam mit dem Freundeskreis des ehemaligen Hoyerswerdaer Kunstvereins ein Erinnern an die Schriftstellerin Brigitte Reimann, die am 20. Februar 1973 mit nur 39 Jahren an Krebs gestorben ist. Die Mirarbeiterinnen der Bibliothek hatten ein wunderbares Ambiente geschaffen und die Stühle reichten kaum für alle Besucher.  Es ist das Anliegen des Freundeskreises, dass junge Menschen die Bedeutung von Brigitte Reimann als Schriftstellerin erfahren, dass die Autorin über ihre Zeit und über den Horizont von Hoyerswerda hinaus etwas zu sagen hatte, etwas, das durch Sprache und Lebensweisheit gleichermaßen berührt. So war von der jungen Mitarbeiterin der Bibliothek, Pia Gutsche, in einer sehr erfrischenden Begrüßungsrede ihre Begeisterung für die Autorin zu spüren, nachdem sie sich mit deren Büchern beschäftigt hatte, Begeisterung für ihren Mut zur öffentlichen Meinungsäußerung, über ihre selbstbewusste Rolle als Frau und über ihre Fähigkeit, ihre Eindrücke in bleibende Worte zu fassen, was man in den Tagebüchern nachlesen kann und in ihren Büchern, „Ankunft im Alltag“ oder „Franziska Linkerhand“.
Vom Freundeskreis, Heidrun Dietrich, Silvia Lohr, Barbara Kegel und Christine Neudeck, wurde aus gegebenem Anlass aus den Büchern von Brigitte Reimann gelesen, aus „Die Geschwister“ und „Die Denunziantin“.
Vom Aufbauverlag erschien, pünktlich zum Jahrestag eine Neuauflage der Erzählung „Die Geschwister“, weil im Jahr 2022 ein sensationeller Fund im ehemaligen Wohnhaus von Brigitte Reimann in Hoyerswerda Teile von bisher verschollenem Manuskript und Typoskript dieser Erzählung ans Tageslicht brachte. Thema ist die schmerzliche Teilung Deutschlands, ein Thema, das Brigitte Reimann auch in der Familie erfahren musste. Es ist interessant zu hören, wie Brigitte Reimann Rede und Gegenrede aufbaut, zwischen dem Bruder, der in den Westen geht, weil er sich eingeengt und bevormundet fühlt und der Schwester, die hier den Sozialismus in seinen Grundzügen von Menschlichkeit und Gerechtigkeit verteidigt. Heidrun Dietrich wählte und las interessante Textstellen zur Kernthematik des Konflikts.
Des Weiteren wurde der Roman „Die Denunziantin“ vorgestellt, eine Roman, der 2022 als Erstauflage erschien, herausgegeben von Kristina Stella, der Bibliografin von Brigitte Reimann. Über die Hintergründe der „Nichtveröffentlichung“ im Jahr 1953 war von Silvia Lohr zu hören, dass die Figur der Eva zu emotional geraten sei und zu viele Züge von Brigitte Reimann selbst trage, dass Evas wichtige Freunde nicht aus der Arbeiterklasse stammen, sondern aus dem bürgerlichen Milieu und, und, und… Sie soll überarbeiten, wechselt die Verlage, bis im Jahr 1958, nach der vierten Fassung, ihr Vertrag endgültig gelöst wird.
Brigitte Reimann wurde „der Romanstoff von Fassung zu Fassung fremder“, schreibt Kristina Stella. Bei Brigitte Reimann hört sich das so an: „…ich war völlig verzweifelt, weil mir diese verflixte Umarbeitung so schrecklich schleierhaft war“. Aus heutiger Sicht kann man dem nur zustimmen: Völlig schleierhaft.
Für uns heute ein Gewinn, dass die Urfassung des Romans nun in einer Erstausgabe vorliegt und man auch die Irrwege der Kritiken der Verlage und die akribisch dokumentierten Umarbeitungen von der ersten bis zur vierten Fassung in der Veröffentlichung von Kristina Stella nachlesen kann, ein lebendiges Stück Literaturgeschichte der DDR in den 50er Jahren. Eine Betrachtung hierzu hat Silvia Lohr umfassend für die Zuhörer aufbereitet und einprägsam vorgetragen.
Doch hören wir einem Streitgespräch zwischen Eva und dem Lehrer Sehning im Deutschunterricht zu, in der ursprünglichen Fassung der "Denunzianti" von 1953, welches von Barbara Kegel sehr berührend vorgelesen wurde:
Lehrer Sehning: „Halten Sie es eigentlich für richtig, Eva, noch heute, Jahre nach dem Zusammenbruch, die vergangenen Zeiten immer und immer wiederaufzuwühlen? Sollten wir das alles nicht endlich einmal ruhen lassen? … Ihr redet in der FDJ immer so schön davon, dass ihr vor großen Aufgaben steht. Wie wollt ihr diese Aufgaben aber erfüllen, wenn euch ständig die Erinnerung an die vergangenen Schrecken hemmt?“ Eva sah sich um, sah lebhafte Zustimmung in der Klasse.
Eva: „Sie hemmt uns doch nicht, sondern spornt uns im Gegenteil zu noch größeren Leistungen an.“
Sehning: „Das sind Phrasen! Machen wir uns doch nichts vor! Was kann euch schon die Erinnerung an den antifaschistischen Kampf während der Nazizeit geben? …Was für einen Zweck hat denn dieser Kampf gehabt? … die illegale Tätigkeit …hatte doch weder Sinn noch Zweck …Sie geben mir also recht? “ …Die anderen nickten.
„Nein!“, wollte Eva schreien, und wieder „Nein!“.Aber etwas saß fest in ihrer Kehle, das sie schlucken musste, mit halboffenem Mund, um nicht zu ersticken. Kein armseliges Wörtlein konnte sie sprechen, musste Sehning nur anstarren… Sehning wollte einlenken, aber Eva stand da, eisige Abwehr. In ihrem Schädel dröhnte es. Keinen Zweck, keinen Sinn …ihr Vater, der gestorben war, damit solche Menschen wie ihre Kameraden hier, einmal frei leben durften! Oh Vati, Vati! Und auch für diesen Mann dort bist du gefallen - Rasender Hass schoss in Eva auf wie eine Flamme, zuckte grell durch ihr Hirn, verbrannte in wenigen Sekunden alles, was sie noch als Sympathie für den Lehrer empfunden hatte… „Sie sind ja nicht wert, Lehrer zu sein! …So, jetzt können Sie mich rausschmeißen. Oder besser, ich gehe von selbst.“
Es erstaunt, wie psychologisch genau Brigitte Reimann diese Auseinandersetzung Evas mit dem Lehrer beschreibt. Von nun an wird Eva von der Klasse als Denunziantin bezeichnet und gehasst. Doch das wird sich nach und nach ändern.
Zum Schreiben gehört eine gewisse Kühnheit… diese Worte hatte Anna Seghers an Brigitte Reimann geschrieben, als sie 20 Jahre alt war und diesen, ihren ersten Roman, schrieb. „Die Denunziantin“ verspricht ein kühnes Lesevergnügen, zu dem wir Sie einladen möchten.

An den 50.Todestag von Brigitte Reimann wurde in den Medien würdig erinnert. Ein Dankeschön an alle, die mir die Zeitungsartikel zuschickten. 

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