Erwin Strittmatter und Siegfried Pitschmann im Dialog


Eine Lesung in der Brigitte-Reimann-Stadtbibliothek Hoyerswerda

001Am 12. Januar 2023 jährte sich der Geburtstag von Siegfried Pitschmann (1930-2002) zum 93. Mal. Aus diesem Anlass stellte der Freundeskreis des ehemalignen Hoyerswerdaer Kunstvereins den Erzählband „Kontrapunkte – Geschichten und kurze Geschichten“ von Siegfried Pitschmann, aus dem Jahr 1968 vor. Für dieses Buch hatte Erwin Strittmatter 1969 eine sehr ausführliche Rezension in einem Brief an Pitschmann geschrieben. Beides wurde nun im Kontext zueinander gelesen. Doch zuerst erinnerte Silvia Lohr sehr liebevoll an Siegfried Pitschmann, als Person und als Schriftsteller. Geboren und aufgewachsen ist er im schlesischen Grünberg, dem heutigen Zielona Gora, er besuchte Grundschule und Gymnasium.
Siegfried Pitschmann bezeichnet die Erinnerungen an sein Leben als „Verlustanzeige“. Es beginnt mit dem Verlust der schlesischen Heimat und allen Freunden der Kindheit, im Februar 1945, als seine Familie, Vater und Mutter mit sechs Kindern, nach Mühlhausen evakuiert werden, 14 Tage in einem kalten Güterzug unterwegs sind, ausgestattet nur mit dem Allernötigsten. Die Familie muss am neuen Wohnort mit einem Minimum an finanziellen Mitteln und Annehmlichkeiten auskommen. Der Vater ist Tischler, er verlor im ersten Weltkrieg ein Bein. Siegfried hilft anfangs beim Vater aus, arbeitet zusätzlich als Tagelöhner und lernt später Uhrmacher. Er beginnt, kleine Texte zu schreiben und wird Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft junger Autoren Thüringens. Diese schickt ihn zu einem Schreib-Aufenthalts in das Schriftstellerheim „Friedrich Wolf“ in Petzow, hier lernt er Brigitte Reimann kennen, sie heiraten, wohnen zuerst in Burg, werden freie Schriftsteller und ziehen 1959 nach Hoyerswerda. Siegfried Pitschmann kannte die Baustelle „Schwarze Pumpe“ bereits aus seiner Tätigkeit als Betonbauer im Jahr 1957, als er aus seiner Ehe in Mühlhausen geflohen war.
Von 1959 bis 1964 schreibt er kleinere Erzählungen und gemeinsam mit Brigitte Hörspiele. Nur Weniges von ihm wird veröffentlicht. 1968 druckt der Aufbau-Verlag den Erzählband „Kontrapukte“. Zu diesen Geschichten schreibt Siegried Pitschmann in einer „Selbstanzeige“, er wäre froh, wenn der Leser „… entdecken würde, dass es sich um den Versuch von Entwicklungslinien handelt, angefangen bei jugendlicher Hilflosigkeit der fünfundvierziger Jahre bis zu den möglichen Modellen des Lebens in unserer Zeit.“
Einer, der dieses Potential erkannt hatte, war der damals bereits berühmte Erwin Strittmatter aus Schulzenhof. Er schreibt, dass er selten die Bücher von Kollegen zu Ende liest, weil dort nur wenige Gedanken sind, die ihn überraschen, Pitschmanns Geschichten liest er alle und findet viel Lob, zuweilen auch Kritik, dass Pitschmann sich zu sehr an Hemingway orientiere und seinen eigenen Duktus viel mehr herausarbeiten sollte.
Im Kontext zur Rezension von Strittmatter, vorgetragen von Christine Neudeck, liest Angela Potowski die kleinen Geschichten in so faszinierender Weise, dass die Zuhörer den Autor Siegfried Pitschmann ganz neu entdecken und bewundern lernen. Großartiger Text in „Damals, als wir noch an die Unschuld der Äpfel glaubten“, der Karren, der viele Jahre hindurch für die Apfelernte der Familie wichtig ist, wird zum Fluchtfahrzeug: „Unmöglich, damals zu denken, dass es dasselbe Vehikel war, auf dass wir eines Tages unser Bett packen, mit dem wir auf Treck gehen würden…“. Den „lebenswichtigen“ Karren musste die Familie später an einem Bahnhof einfach stehen lassen. Faszinierend auch die Übereinstimmung von Sprache und Inhalt in: „Stoppelzeiten“, „Assanbeck“, „An diesem Tag in Massowien“ und „Fünf Versuche über Uwe“, allesamt von Strittmatter als echter Pitschmann erwähnt und von Angela Potowski auszugsweise gelesen.
Die nächste Lesung des Freundeskreises in der Reimann-Bibliothek, am 22. Februar 2023, ist dem 50.Todestg von Brigitte Reimann gewidmet. Gemeinsam mit den Mitarbeitern der Bibliothek werden Neuerscheinungen der Autorin vorgestellt.

 

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