Der Stadt Bestes gesucht – und gestaltet
Der Kunstverein Hoyerswerda und dessen Gründer, Helene und Martin Schmidt, nahmen Abschied von der großen Bühne – mit ihnen ein gutes Stück Hoyerswerda.
„Vorbei. Vorbei. Vorbei.“ schien die Querflöte in ihrer abfallenden Sequenz zu klagen; drei Mal zwei Töne, schließend den Refrain, klangfüllend den Großen Saal der Hoyerswerdaer Lausitzhalle in tapferer, aber dennoch schmerzlich als Selbstverleugnung fühlbarer Heiterkeit: musikalischer Auftakt der sonntäglichen Soiree, mit der die 1964 begonnene Ära des Hoyerswerdaer Kunstvereins, vormals Freundeskreis der Künste und Literatur, endete: Helene und Martin Schmidt, die diesen Kunstverein einst gegründet hatten und ihm bis heute vorstehen, verlassen alters- und gesundheitshalber Hoyerswerda, ziehen in die Nähe ihrer Kinder nach Bayern.
Ein würdiger Schlusspunkt
Der Kunstverein hatte sich einen würdigen Schlusspunkt gewünscht, der Revue passieren ließ, was der Verein, die Schmidts vornean, in fast 60 Jahren in, mit und für Hoyerswerda gestaltet hatten. Jener Stadt, die nach 1955 vom 7.000-Einwohner-Ackerbürgerstädtchen durch die Neustadt östlich der Schwarzen Elster, Wohnstatt der Arbeiter des entstehenden Gaskombinates Schwarze Pumpe, zur „zweiten sozialistischen Großstadt der DDR“ wuchs; die 80.000-Einwohner-Marke striff, die 100.000 erreichen sollte und nach der politischen Wende mit dem einhergehenden wirtschaftlichen Niedergang der Braunkohlen-Industrie trotz Eingemeindung fünf dörflicher Ortsteile knapp an die 30.000er-Grenze fiel und sich völlig neu erfinden musste.
Eine Konstante über all diese Jahre hinweg war, seit 1964, der Kunstverein Hoyerswerda. Ins Leben gerufen von Enthusiasten und Idealisten, die sich keinesfalls als solche begriffen, sondern als Menschen, die Leben nicht nur als Wechsel aus Arbeit und billiger Zerstreuung wollten, sondern das Augenmerk auf das Schöne, das die Seele (oder, bitte, weltlicher: den Geist) Erhebende legen wollten; mit Gleichgesinnten den Blick auf das Eigene und die Welt weiten, im Brechtschen Sinne: „Sorgt doch, dass ihr, die Welt verlassend, nicht nur gut wart, sondern verlasst eine gute Welt“ sagt seine Heilige Johanna der Schlachthöfe am Ende des gleichnamigen Stückes. Oder um es mit Jeremia 29, 4-7 nicht gleich auf die in ihrer Gänze unfassbare Welt auszuweiten, sondern das Stück Welt zum Tätigsein wählen, das man unmittelbar beeinflussen und bessern kann: „Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte ... Suchet der Stadt Bestes ... denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s auch euch wohl.“
Kunstverein und Alltag
Genau dafür stand der Kunstverein; genau dafür standen Helene und Martin Schmidt – nicht nur im Kunstverein, sondern im Alltag. Freunde und Weggefährten erinnerten am Sonntag daran. Hausherr Dirk Rolka, Geschäftsführer der Lausitzhalle, der den Großen Saal unentgeltlich für die Feierstunde zur Verfügung gestellt hatte, rekapitulierte, dass Martin Schmidt, nach 1990 Kulturdezernent von Hoyerswerda, erfolgreich gekämpft hatte, dass die Halle, damals noch „Haus der Berg- und Energiearbeiter“ (deren Entstehen dem findigen Wirken des Generaldirektors des Gaskombinates, Dr. Herbert Richter, zu verdanken war), die Wende überlebte statt in einem Treuhand-Fonds zu verenden. Oder wie es gleich darauf Dr. Günter Seifert bekräftigte: „Wir wussten, dass das, was einmal bei der Treuhand landet, nie mehr die Augen aufmacht.“ Das hat Martin Schmidt zu verhindern gewusst. Er, auch das betonte Dr. Seifert, stand Pate bei der Gründung des Traditionsvereins „Glück auf Schwarze Pumpe“, der das Erbe von Pumpe bewahrt, unter anderem durch das 65-Jahr-Buch Pumpe – Hoyerswerda, und der für die Zukunft des Industriestandortes wirkt.
Immer wieder Brigitte Reimann
Eine ganz andere Nuance brachte Irmgard Weinhofen ins Spiel: Die mit 90 Jahren Älteste der Kunstvereins-Mitglieder und einstige engste Vertraute von Brigitte Reimann, erinnerte daran, dass der Kunstverein das Reimann-Erbe lebendig hielt: Lesungen, Sonderausstellungen, weit über 200 Brigitte-Reimann-Spaziergänge auf den Spuren der „Hoyerswerda“-Autorin an Handlungsorte von „Ankunft im Alltag“ und „Franziska Linkerhand“; nicht zu vergessen die Brigitte-Reimann-Begegnungsstätte und Schülerwettbewerbe ... Dr. Gitta Kaltschmidt wiederum schilderte das langjährige Wirken Martin Schmidts als Stadtrat. Die Lyrikern und Erzählerin Róža Domašcyna berichtete von Lesungen und Buch-Premieren in Hoyerswerda und trug das Poem „Geworden sein unter des anderen Auge“ vor. Heidrun Dietrich überbrachte ein Grußwort des sorbischen Komponisten Jan Cyž, der 1972 einen Brief von Brigitte Reimann vertonte, den sie kurz vor ihrem Tode geschrieben hatte („Es war einmal eine Frau ...“), denn auch der Pflege der neuen sorbischen Musik fühlte sich der Kunstverein verpflichtet. Erwähnt wurde das Wirken von Martin Schmidt als Gründungsgeschäftsführer des 1995 gegründeten Bildungswerkes für Kommunalpolitik Sachsen; unermüdlich Vortragsreihen, Foren und Publikationen in Szene setzend. Die Künstlerinnen Britta Kayser und Ulrike Söhnel beleuchteten die Galeristen-Tätigkeit des Kunstvereins; speziell die Ausstellungen im Lausitzer Seenland Klinikum. Gabriela Linack vom Domowina-Regionalverein „Handrij Zejler“ Hoyerswerda dankte dem Kunstverein und den Schmidts mit einem Jurij Brězan-Zitat: „Das Leben ist nie Vergangenheit, selten das Heute, aber immer die Zukunft“ – als Mutmacher für Kommendes. Superintendent i. R. (besser: „im Unruhestand“) Friedhart Vogel, Ehrenbürger von Hoyerswerda, nannte das Verdienst Helene Schmidts beim Aufbau des Religionsunterrichts nach 1990 in Hoyerswerda; betonte die Rolle Martin Schmidts als Gründervater und Retter des Hoyerswerdaer Evangelischen Gymnasiums (heute Christliche Schule) Johanneum, als es 2004 durch Missmanagement vor dem Trägerwechsel stand. Auch die Neubelebung der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften sei mit Martin Schmidt verbunden: Dieser habe ihn, Vogel, zur Wiedergründungsversammlung 1990 bestimmt: „Damals (bei der ersten Gründung am 21. April 1779) war ein Superintendent dabei, darum musst du jetzt auch mitkommen!“ Da habe er sich, gern, gefügt.
Lächeln und bewegende Momente
Thomas Delling, einst Hoyerswerdaer Sozialbürgermeister, hob hervor, dass es Martin Schmidt gewesen sei, der den Computervater Konrad Zuse wieder nach Hoyerswerda geholt habe; ein Name, aus dem die Stadt bis heute Nutzen ziehe. Barbara Kegel, die den Reigen der Grußworte abschloss, nannte noch einmal das „Suchet der Stadt Bestes“.
Lächeln, als Rainer Gruß den derben Thomas-Rosenlöcher-Text vom Ehepaar las, dessen Liebe unter wachsendem Besitz begraben wird, das aber noch einmal ganz von vorn beginnt. Noch mehr bewegende Momente: wenn Kira Potowski, 1988 schon als Mitglied des Kunstvereins geboren, nicht nur Querflöte spielte, sondern A Capella „Dos Gardenias“ vom Buena Vista Social Club sang, musikalische Blumen überreichte. Wenn ein Film von Karsten Held und Torsten Hauser einen der letzten Brigitte-Reimann-Spaziergänge Revue passieren ließ. Wenn ein von Christine Neudeck zusammengestellter Reigen von Bildern aus 60 Jahren Geschichte im Zeitraffer zeigte: Kunstvereins-Geschichte, Martin-und-Helene-Schmidt-Geschichte oder ganz einfach: Hoyerswerdaer Geschichte.
Zauber und dreifaches „Kann sein“
Unter dem letzten Bild stand ein leicht verfremdetes Hermann-Hesse-Zitat: „Jedem Abschied wohnt ein Zauber inne / Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“; Zeilen aus dem Gedicht „Stufen“, das Angela Potowski, die den Abend moderierte, dann vollständig vortrug: „Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden / Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“
Dies galt nicht nur den Schmidts, sondern auch dem Kunstverein selbst, der Frage: „Was wird?“ Nun, auch wenn es den Verein nicht mehr geben wird; Vorträge, nun von Solisten, wird es weiter geben. Vor allem, Stand jetzt: auch die Brigitte-Reimann-Begegnungsstätte wird, wenngleich in anderer Hand, fortgeführt werden.
Ein Wiedersehen mit den Schmidts: Nicht ausgeschlossen. Denn das eingangs zitierte Flötenstück Osvaldo Farrés’ hieß nicht: „Vorbei, vorbei, vorbei“, sondern: „Quizás, quizás, quizás“ – „Kann sein, kann sein, kann sein“
(Mit freundlicher Genehmigung von Sächsische Zeitung "Hoyerswerdaer Tageblatt". )
PS: Der Stadt Hoyerswerda gilt der ganz besondere Dank des Hoyerswerdaer Kunstvereins für die Verfügungstellung der Lausitzhalle zum "Galaabend für Martin und Helene Schmidt". Einen würdigeren Rahmen hätte man in Hoyerswerda nicht finden könne. Dank an die Technik des Hauses und an alle Mitarbeiter, die in Corona-Zeiten den sicheren Ablauf der Veranstaltung garantierten.