Ein Spiegel der Zeit - junge Lyrik aus Sachsen

Beim Hoyerswerdaer Kunstverein lesen Róža Domašcyna, Andra Schwarz und Uwe Salzbrenner neuere Gedichte.

Róža Domašcyna, Uwe Salzbrenner und Andra Schwarz, von rechts.Wenn einer glauben sollte, Lyrik sei eine ausgestorbene Spezies der Literatur, so wird er durch einen neuen Band Lyrik mit dem Titel „Weltbetrachter“ eines Besseren belehrt. Denn es ist eine „Rundumweltbetrachtung“ von 155 Autoren, die in den letzten zehn Jahren das Leben sensibel verfolgten, namhafte Autoren neben weniger namhaften, mit einem Bezug zu Sachsen, allesamt „eher seismographisch als prophetisch“ unterwegs, wie als Zitat von Walter Höllerer im Vorwort zu lesen ist, denn „Dichter sind Weltenträumer und Weltbetrachter“.
Herausgegeben wurde die Sammlung von Róža Domašcyna und Axel Helbig, die eine, eine Dichterin aus Bautzen, der andere Redakteur der Zeitschrift für Literatur und Kunst in Dresden. Von den 1500 eingesandten Gedichten konnte nur ein Bruchteil ins Buch aufgenommen werden, was die Herausgeber ein wenig bedauern, denn vieles müsste noch gesagt werden.
Róža Domašcyna las aus ihren eigenen Gedichten, dabei ein Gedicht für Kito Lorenz und Gedichte von Kito Lorenz selbst, von einem der bekanntesten Dichter aus der Oberlausitz. Kito Lorenz (1938-2017) schrieb 2015, dass nach dem Tod das Licht auf neue Stellen weist „und Zweige brechen aus allen Rinden“, was mit der vorliegenden Anthologie beinahe im Überfluss bestätigt wird.
Róža Domašcyna veröffentlichte bereits mehrere Gedichtbände, sie erstaunt immer wieder durch eine sensible Betrachtung der Welt, die sich für sie in den kleinsten Dingen widerspiegelt, am Totenbett der Großmutter, in einer Puppenstube oder in der Person der Hannelore: Lippen blutrot geschminkt, Kleid aus Klatschmohnblüten, die allen erzählen will, dass ein Engel sie an die Hand nahm, als „christbäume auf den bahnhof fielen, sie fielen vom himmel und brannten“, und keiner hört ihr zu.
Uwe Salzbrenner, geboren in Hoyerswerda, gelernter Elektroingenieur, arbeitet als freier Autor für die Sächsische Zeitung und schreibt kleine Essays und Gedichte. In der Anthologie ist er vertreten mit einem Gedicht, „Haus, unvollständig“, ein Haus das nur dürftig beherbergt, das in einer Braunkohletagebau-Region auf Abruf steht, ein Thema, das Uwe Salzbrenner in weiteren kleinen Essays vertieft.
Die jüngste in der Runde war Andra Schwarz, geboren 1982, sie stammt aus Bröthen-Michalken, einem Ort, in dem noch sorbisch im Alltag gesprochen wird. 2017 veröffentlichte sie einen Gedichtband mit dem Titel „Am Morgen sind wir aus Glas“. In der Anthologie ist sie mit einer Erstveröffentlichung vertreten: „Liegen an Grenzen“ - an den Grenzen von Moor und Ackerland, aufgeschürfte Gegend, Sprachgrenzen und „verschwisterte Linien einer Sprache, die viel zu weit vorn liegt auf der Zunge“, und es gab eine Zeit, in der es ein Verbrechen war, diese Sprache zu sprechen.
Für die Anthologie konnten die Herausgeber auch Elke Erb gewinnen, die mit dem Büchner-Preis 2020 geehrte Lyrikerin, die in Wuischke bei Hochkirch lebt. Ihre Themen, was der Mensch mit dem Menschen und was der Mensch mit der Natur macht. In ihrem Gedicht aus dem Jahr 2019 „Das mit dem Baum“ ist zu lesen „… gefällt der Stamm, grau und kahl und langhin entastet. Da liegt er. Seit dem Sommer. Im Dorf sehe ich mehrere solche. Sie werden mich übersterben. Meine Handflächen meinen: Schade um sie.“
Es bleibt das Geheimnis der Dichter, wie sie aus Wörtern eine unverwechselbare Sprache bilden, ihre „Weltbetrachtung“ auf wenige Zeilen verdichten, die sich erst beim Lesen entfalten, wie der Geist aus der Flasche, groß und weit.
Rundum eine gelungene Premiere von „Weltbetrachter - Neue Lyrik. Eine Anthologie aus Sachsen“, herausgegeben vom Verlag poetenladen, Leipzig, einem der vielen kleinen, aber feinen Verlage, die dem Buch und der Lyrik neue Chancen eröffnen.

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