Musikalisch wurde Brigitte Reimanns Straße sehr lebendig

Uraufführung, Kompositionen zu Texten von Brigitte Reimann. Von links, Malte Hübner, Angela Potowski, Elise Elvers, Heidrun Dietrich, Helene Schmidt,  Jan Cyž, Silvia Lohr. Juni 2020Es war eine neue Erfahrung, eine Matinee mit Texten von Brigitte Reimann, die von zwei Komponisten musikalisch „veredelt“ wurden. Die Komponisten sind Malte Hübner aus Rostock und Jan Cyž aus Bautzen, die beide zur Uraufführung anwesend waren.
Ausschließlich Streichinstrumente waren zu hören, gespielt von Elise Elvers, Berlin, und Malte Hübner selbst.
Ausgewählt hatte der Kunstverein drei sehr beeindruckende Texte von Brigitte Reimann:
„Meine Straße“, ein Text aus dem Jahr 1967 über das Leben in einer neuen Stadt, in der „neuen“ Stadt Hoyerswerda, die als selbständige Stadt gebaut werden sollte, mit allen Vor- und Nachteilen, die in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts als Standard galten. Helene Schmidt und Angela Potowski lesen von Häuserfabriken und rechtwinkligen monotonen Fassadenfluchten, eine Stadt in Abhängig von einer Industrie, die neben einem Kohleflöz entstanden ist. Man hört von Kiefern im Sand und Wegen im Sand, von jungen Leuten, von deren Problemen und Aggressionen, von jungen Müttern, die am Morgen ihre Kinder in Kindergärten oder Schulen unterbringen und dann zur Arbeit gehen, denen Kaufhaus, Kino, Theater, Diskotheken und vieles mehr fehlen, weil das geplante Stadtzentrum nie gebaut wird. Aber, „die arme tapfere Straße versucht zu leben... und später wird man, wer weiß, manchmal Heimweh nach ihr haben.“
Malte Hübner erfindet dazu erstaunliche Zwischenmusiken, die nach einigen verzweifelten Passagen den Grundton vom tapferen Leben immer wieder sehr melodisch durchschimmern lassen.
Zwei weiteren Texten widmete Jan Cyž seine Kompositionen.
Ein Brief von Brigitte Reimann vom März 1972, ein Jahr vor ihrem Tod, an ihre Freundin Veralore Schwirtz, als sie schon Bestrahlungen und mehrere Klinikaufenthalte hinter sich hatte, ist eine Kurzfassung ihrer Biografie. "Es ist eine Lebensgeschichte, die sich noch vor drei Jahren gut und erfreulich angehört hätte. - Es war einmal eine höchst lebendige Frau - die zweimal ein Studium begann... die gegen ihre Lehrer rebellierte, die eine Menge Männergeschichten hatte, eine Menge Dummheiten beging, die sie nicht bereut, viermal heiratete, kein Kind wollte, was sie heute ein bisschen bereut... die zu früh und zu viel Erfolg hatte... an eine Große Sache glaubte und an einer Großen Sache zweifelte... die sich nach fremden Ländern sehnte und nur die Nachbarschaft zu sehen bekam... allerdings auch das unvergessliche Sibirien... kurzum, es war einmal, und es war gut so, und auch das Schlimme und Dreckige war in seiner Art gut." Die Komposition von Jan Cyž folgt diesem Leben im Auf und Ab des Textes und Elise Elvers begleitet auf der Viola das Zwiegespräch mit Helene Schmidt, die den Text sehr einfühlsam rezitiert. Am Schluss beeindruckend wiederholt: "Es war einmal." Die Zuhörer waren aufrichtig berührt.
Last not Least folgte ein Auszug aus einer Rede von Helmut Sakowski, die er am Grab von Brigitte Reimann im Jahr 1973 hielt. "Lassen Sie mich.. ein paar Zeilen zitieren, die zu den schönsten zählen, die Brigitte Reimann je geschrieben hat: ...Und später, immer, wenn ich unruhig war, wenn ich mich sehnte, wer weiß wohin, wer weiß nach wem, fiel mir die Geschichte vom persischen Architekten ein. Der konnte und konnte seine Gedanken nicht von der Prinzessin abwenden. Eines Tages sah er sie mit unverschleiertem Gesicht... Er vergaß den furchbaren Tamerlan und seinen Zorn. Er küsste sie... Der Architekt flüchtete vor seinen Häschern auf die Spitze eines Minaretts und als er schon den Atem der Verfolger auf seinem Nacken spürte, breitete er die Arme aus und warf sich vom Minarett in die Luft, und um seiner großen Liebe willen wuchsen ihm Flügel, und er flog heim- nach Persien". (Zitat aus "Franziska Linkerhand")
Angela Potowski las den Text wohltuend spannend, Jan Cyž komponierte ein Vorspiel und ein Nachspiel, in denen sich musikalisch die Dramatik und der Sprachfluss des Textes bewegend widerspiegeln.

 

 

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