Voll gesogen mit Geschichten vom Leben auf einer Großbaustelle
Seit vielen Jahren ist die Brigitte-Reimann-Begegnungsstätte in Hoyerswerda der Anlaufpunkt für Gespräche zur Literatur über unsere Stadt. Vor allem wird an die Bücher von Brigitte Reimann erinnert, an die Bücher von Siegfried Pitschmann sowie an das Wirken von Richard Paulick und Rudolf Hamburger beim Aufbau der Neustadt von Hoyerswerda.
Viel zu wenig ist bekannt, dass Siegfried Pitschmann (1930-2002) ein sehr genauer Beobachter und sorgfältiger Erzähler war. Am 12. Januar 2020 wäre er 90 Jahre alt geworden.
In einer kleinen Runde sorgten Lesungen und Gespräche für ein ehrenvolles Erinnern. Helene Schmidt las aus "Verlustanzeige", ein Lebensrückblick, den Marie-Elisabeth Lüdde nach Gesprächen mit Siegfried Pitschmann ein Jahr vor seinem Tod aufzeichnete. Silvia Lohr trug die heitere und zugleich feierliche Erzählung "Elvis feiert Geburtstag" vor, passend zum 90. von Siegfried Pitschmann, der in der Person des "Elvis" seinen Geburtstag in einer Arbeiterunterkunft beschreibt.
Dr. Günter Seifert und Martin Schmidt erinnern an Begegnungen mit Brigitte Reimann und an Maik Hamburger, den Sohn von Rudolf Hamburger, der hier zu Gast war und kürzlich verstorben ist.
Bei Lesung und Gespräch wurde den Anwesenden bewusst, dass man bisher etwas versäumt hatte als Leser, wenn man Siegfried Pitschmann nur als Ehemann von Brigitte Reimann wahrgenommen hatte und ganz sicher hat der damalige Kulturbetrieb vieles falsch gemacht. Die Texte von Siegfried Pitschmann sind weder umstürzlerisch noch wirklichkeitsfremd, allerdings wird "kein frommes Lied zum Aufbau des Sozialismus" gesungen, was ihm von einer engstirnigen Parteiführung 1959 vorgeworfen wird, als sein Buch "Die Erziehung eines Helden" nicht veröffentlicht wird und die Ablehnung ihn innerlich zerbricht. Ähnlich erging es seinen "Erzählungen aus Schwarze Pumpe", die nur spärlich gedruckt wurden.
Siegfried Pitschmann erzählt authentisch genau und gleichzeitig poetisch vom Charakter seiner gar nicht heldenhaften Neulinge auf der Großbaustelle Schwarze Pumpe, von deren Denken, Träumen und Fühlen, von Verzweiflungen und Hoffnungen und mit Utopien für eine gerechte Gesellschaft. Er beschreibt das Leben bei Hitze und Kälte und schwerer Arbeit in einer Betonbrigade, das triste Leben in den Wohnlagern und in der "Zwischenbelegung", den Arbeiterunterkünften in den ersten Wohngebäuden. Es sind die kleinen Gesten von Menschlichkeit mit geklauten Geburtstagsblumen für "Elvis" oder einer zum Heulen einsamen Weihnachtsfeier im Wohnlager, die mehr berühren als jeder großartig daher kommende Schwätzer, der sich als Held sieht. Erst 2015/16 gibt Kristina Stella die Bücher heraus.
Siegfried Pitschmann wurde in Grünberg (Zielona Gora) im heutigen Polen geboren, landet mit Eltern und Geschwistern nach dem zweiten Weltkrieg in Mühlhausen, heiratet und geht nach Problemen in der Ehe nach Schwarze Pumpe, als Hilfsarbeiter in eine Betonbrigade. In Weimar war er bereits Mitglied im Arbeitskreis junger Autoren und kommt so nach Petzow ins Schriftstellerheim, wo er Brigitte Reimann kennen lernt. .
Beide heiraten und ziehen, angeregt durch den "Bitterfelder Weg", nach Hoyerswerda, das Pitschmann aus seiner "Betonbrigadezeit" kennt. Brigitte Reimann schreibt schnell und hochemotional, er genau und sorgfältig langsam, was ihn nach dem überragenden Erfolg von Brigitte Reimann an seiner Begabung zum Schriftsteller immer mehr zweifeln lässt. Die Ehe wird geschieden. Siegfried Pitschmann arbeitet später in Rostock und Suhl und stirbt am 29. August 2002 in Suhl.
Der Nachmittag war eine würdige Erinnerung an Siegfried Pitschmann, der sich gewünscht hatte, dass er doch gern für sich stehen würde, als Schriftsteller, und erst in zweiter Linie als Ehemann von Brigitte Reimann. Hoyerswerda steht für beide und wird ihr Erbe vor dem Vergessen bewahren.
Mit freundlicher Genehmigung von Sächsische Zeitung, Hoyerswerdaer Tageblatt.(Ein gekürzter Artikel wurde am 29.02.2020 veröffentlicht.)