Der Mensch kommt nicht aus ohne Illusion
Uwe Jordan liest aus "König Alkohol" von Jack London beim Hoyerswerdaer Kunstverein
Wer die Abenteuerromane von Jack London kennt, die in aller Welt gelesen wurden und noch heute gelesen werden, weiß um die Illusionen, die der Mensch zum Leben braucht und folgt den Spuren von "Wolfsblut", dem "Ruf der Wildnis", dem "Lockruf des Goldes", dem "Seewolf" und vielen weiteren Meistererzählungen begeistert und beinahe berauscht.
Betrachtet man dagegen den Lebensweg Jack Londons, will man nicht glauben, dass der Mensch Jack London so gelebt hat, wie er es in dem autobiografischen Roman "König Alkohol" beschreibt. Im Amerikanischen lautet der Titel "John Barleycorn", ein Wortspiel aus Bar, Whisky und Korn? Unter dem Einfluss dieses John Barleycorn stand das Leben des in San Franzisco am 12. Januar 1876 als uneheliches Kind geborenen John Griffith Chaney. Die Mutter heiratete später einen John London. Daraufhin wurde aus John Griffith Jack London. Den lesebegierigen Knaben erwartet ein hartes, unstetes Leben. Schon als Kind muss er zum Unterhalt der Familie beitragen in dem um die Jahrhundertwende vom Alkoholismus geprägten Kalifornien. Unausweichlich kommt er mit John Barleycorn bereits im Kindesalter mehrmals schmerzlich in Berührung, er arbeitet hart in vielen Branchen, versucht immer wieder Bücher zu lesen, studiert nur kurz, beginnt zu schreiben und entwickelt eine Weltsicht, die uns heute aktueller denn je erscheint. Karl Marx, Darwin, Schopenhauer und Nietzsche prägen sein Weltbild maßgeblich. Er wird der erfolgreichste amerikanische Autor um die Jahrhundertwende.
Das alles kann man, dank der Auswahl von Uwe Jordan aus dem vorgestellten Roman "John Barleycorn" erfahren. Ein klarer Blick auf die Gesellschaft, mit Kinderarbeit, Alkohol, der immer und überall preiswert zur Verfügung steht, Rechtlosigkeit von Frauen, rücksichtslosem Wettbewerb in der Wirtschaft, Goldgräbermentalität, Profit auf Kosten des menschlichen Leidens und einem verabscheuungswürdigen Umgang mit Tieren. All das hat Jack London in seinem Leben hundertfach erfahren und in seinen Büchern thematisiert.
Im Laufe der Erzählung und damit im Lauf seines Lebens steigt Jack Londons Alkoholkonsum immer weiter, erstaunlicherweise ohne seinen Blick zu trüben. "Der Alkohol verhilft zu Geselligkeit, verhilft zu Freude und Übermut, verhilft zu Geistesblitzen und trüben Träumen. Er ist der Feind des Lebens und der Lehrer einer Weisheit, die jenseits der Lebensweisheit liegt." Jack London kommt zu dem Schluss, dass sich der Mensch vom Leben blenden und von seinen Sinnen umgarnen lassen muss, um wirklich lebendig zu sein. "Was gut ist, ist wahr!" In diesem Sinn schreibt er auch seine Bücher für eine Leserschaft, die der harten Wirklichkeit für eine Weile entkommt und einen Rausch der Sinne erlebt. Besonders ergreifend ist das in den Erzählungen "Ruf der Wildnis" und in "Wolfsblut" zu lesen. Grundthema von beiden ist das Suchen nach dem Platz im Leben, Wolf oder Hund? Hin und her gerissen zwischen einem Leben in der Wildnis, die unsichere Freiheit, aber auch Rausch bedeutet und einem Leben in einem gesicherten, aber weniger aufregenden Umfeld bei den Menschen.
London entscheidet in beiden Erzählungen unterschiedlich, aber immer voll Wärme und menschlichem Verständnis, mit höchstem poetischen Können. Im "Ruf der Wildnis" wird der Hund Buck in die Wildnis zurückkehren, in "Wolfsblut" wird sich der Mischlingshund am Ende für das Leben bei den Menschen entscheiden.
Man mag es kaum glauben, alle Bücher Jack Londons entstehen in Begleitung seines zweiten Ich - "John Barleycorn", der am Ende zusammen mit der "Weißen Logik, dem silbernen Boten der Wahrheit jenseits der Wahrheit, " aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken ist. Es hat wohl nie einer so ehrlich seine Sucht beschrieben und dabei gleichzeitig den Blick auf die eigene Würde als Mensch nicht verloren, denn "jeden gewagten Versuch, die langen Lebenstage... in Augenblicke irrsinnigen Entzückens zu verwandeln" hat er mit der Verkürzung des Lebens gebüßt. Linderung für die nächste Generation erhofft er von den Frauen, indem er für das Frauenwahlrecht wirbt. Jack London war zwei Mal verheiratet, seine zweite Frau Charmian begleitet ihn auf seinen letzen Reisen und bis zu seinem Tod.
Das Buch "John Barleycorn" erscheint 1913. Die Prohibition im Jahr 1920 erlebt Jack London nicht mehr, er stirbt im Alter von 40 Jahren am 22. November 1916 in Glen Ellen in Kalifornien.
Uwe Jordan lässt offen, ob das Verbot von Alkohol per Gesetz wirklich das erhoffte Ziel erreicht hat.