Ringelnatz, Kuttel Daddeldu, Muschelkalk und Co.

Matinee beim Hoyerswerdaer Kunstverein mit Texten von Joachim Ringelnatz, vorgetragen von Detlef Seydel, musikalisch unterstützt von Heidemarie Wiener, Klavier und Waltraut Elvers, Viola und Violine.

Matinee zu Joachim Ringelnatz beim Hoyerswerdaer Kunstverein mit Heidemarie Wiesner, Detlef Seydel und Waltraut Elvers. Von links.Joachim Ringelnatz, von Reportern befragt: zu Fürst Wittgenstein und zum Absturz des Luftschiffs Italia und der Rettung des Kapitäns Nobile ohne seine Crew.Ein ungewöhnlich heiterer und zugleich nachdenklicher machender Blick auf einen ungewöhnlichen und unangepassten Dichter: Joachim Ringelnatz, der eigentlich Hans Gustav Bötticher hieß, 1883 in Wurzen geboren wurde, Gedichteschreiber, Seemann, Maler, Kabarettist, Bibliothekar und Erzieher, Fremdenführer, Reserveoffizier der Marine, Artist und vieles mehr war. Ein Leben lang lebte er von der Hand in den Mund. Er starb völlig mittellos an Tuberkulose in Berlin, von Freunden mit dem Nötigsten versorgt. Seine um 15 Jahre jüngere Frau, die er Muschelkalk nannte, teilte sein Schicksal, unterstützte ihn und begleitete ihn bis zum Schluss. Joachim Ringelnatz starb 1934 in Berlin.
Die Akteure der Matinee, der Sprecher Detlef Seydel und die Musikerinnen Heidemarie Wiener und Waltraut Elvers, erzählten und spielten an Hand seiner Dichtungen das bewegte Leben des Joachim Ringelnatz. Den vielen Gedichten hauchte Detlef Seydel mit seiner Vortragskunst beinahe gegenwärtiges Leben ein und die dazu ausgewählten Musikstücke überstrahlten ebenso lebendig die geistreiche Sprache durch perfekt dem Leben des Dichters angepasste Melodien.
Ein rundum gelungenes Programm, was den Zuhörern helle Begeisterung entlockte. Ein jeder kannte wohl Namen und Schicksal dieses Dichters, sowie einige kleine Gedichte und die Verse des Seemanns "Kuttel Daddeldu" aber kaum einer die Vielfalt an Kinderreimen, Seemannsgedichten, kritischen Gedichten gegen den Nationalsozialismus, Liebesgedichten an Muschelkalk und Alltagsgedichten mit einem Hang zu skurriler Moral. Ringelnatz erhielt während des Nationalsozialismus Auftrittsverbote und seine Bilder wurden mit dem Stempel "entartete Kunst" versehen.
Innerhalb der Matinee waren Gedichte zu hören von einer mehr oder weniger geglückten Kindheit, von Hunger und Kälte, denen man immerhin einige Verse widmen konnte, von Ängsten um die Wohnung, davon, wie er dem geizigen Fürsten Wittgenstein ein Schnippchen schlägt, und von einem Wohlgefühl, dass bei ihm eintrat, als er München, die dümmste Stadt der Welt, in Richtung Berlin verlassen konnte. Das war 1929. Dort findet er Gleichgesinnte, wie Kurt Tucholsky, Claire Waldoff, Otto Dix und andere Künstler der Avantgarde.
Seine Themen sind breit gefächert. Die Seefahrt wird aus der Sicht des Seemanns Kuttel Daddeldu erörtert, das harte Leben auf See, aber auch das Lotterleben an Land.
Neben der Seefahrt gehörte auch das Fliegen zur Leidenschaft des Dichters. Von diesem Genre handelt der Gedichtband "Fluggedanken". Sein Wunsch wäre es, auch nach seinem Tod dort oben bleiben zu können, da dort unten nur viel Mühe und Not und wenig wahre Liebe herrschen. "Mein Herz und mein Gewissen schlägt/ Lauter als der Propeller/ Du Flugzeug, das so schnell mich trägt/ flieg schneller."
Die Gedichte und Briefe an "Muschelkalk" zeigen Ringelnatz von einer sehr sensiblen Seite. Bei allen Eskapaden seines Lebens ist ihm die Ehefrau immer wichtig gewesen, er lässt alle wissen, "Mein richtiges Herz. Das ist anderwärts, irgendwo im Muschelkalk." Muschelkalk, die er in einem Gedicht rühmt, dass sie seine Schlechtigkeiten duldet und versteht, soll nach seinem Tod nicht trauern, denn seine Liebe zu ihr wird ihn überdauern und sie segnen. Und sie soll lachen wie bisher und ihr Leben lieben. So viel Wärme hätte man diesem eigenwilligen Spötter gar nicht zugetraut.
Mit dem Klang des Liedes "La Paloma" geht zuerst der Dichter Ringelnatz, alias Detlef Seydel, von der Bühne ab, ihm folgt die Pianistin Heidemarie Wiesner, zuletzt ist nur noch Waltraut Elvers mit der Viola und der eingängigen Melodie von der Sehnsucht in die blaue Ferne zu hören, bis auch sie geht und die Musik leise verklingt.