Industrie und Dichtkunst in der Energiefabrik
Musikalisch-literarisches Programm des Sächsischen Industriemuseums Knappenrode, gemeinsam mit Christian Völker-Kieschnick und dem Hoyerswerdaer Kunstverein.
"An dem Morgen war ein erdfrischender Regen niedergegangen. Ich fuhr zur Grundsteinlegung für das Kombinat, das aus Kohle eine Menge nützlicher Sachen herstellen wollte... Die ersten Bäume waren schon gerodet. Man brauchte einen freien Platz für das Zeremoniell, für die Gäste, die Zeugen, die Begleiter des Ministers, für die Funktionäre, für die Raupe, die bereitstand. Ein moderner Spatenstich stand bevor... Lautsprecher aus den Kronen der Kiefern kündigten den Minister an... Der Minister verließ die Bühne. Er ging zu der bereitstehenden Raupe. Er wusste, wie sie zu bedienen war. Dann fuhr er los, auf eine Gruppe von Bäumen, die man für ihn stehen gelassen hatte. Die Maschine wälzte sie nieder... bis der moderne Spatenstich zu Ende war." So beschreibt Jurij Koch als "rasender Reporter" auf einem Motorrad seine Eindrücke der Grundsteinlegung für das Kombinat Schwarze Pumpe im Jahr 1955. Und so beginnt das literarische Programm.
In weiteren Texten, die von Helene Schmidt und Angela Potowski sehr emotional und professionell gelesen werden, ist von Dichtern zu hören, die alle ihre Sicht auf die neue Stadt Hoyerswerda und auf die industriellen Veränderungen in der Lausitz zum Ausdruck bringen.
Dazu gehören auch die Lieder von Gerhard Gundermann, besonders Hoy Woy I und Hoy Woy II, zu hören in einer Interpretation von Christian Völker-Kieschnick. Das Lied /hoy woy , dir sind wir treu/ du blasse blume auf sand/ heiß laut staubig und verbaut/ du schönste stadt hier im land/ singt er zur Gitarre so berührend, dass die Zuhörer vollkommen still werden und kaum zu klatschen wagen. Sie spüren, dass sie sich damit identifizieren können, dass ihre Stadt keine ideale Stadt ist, dass sie sich aber von Fassaden nicht ablenken lassen, sondern dahinter sehen müssen und ihre Stadt trotz aller Mängel lieben, oder gerade deshalb?
In der Reihe der Literaten dürfen natürlich Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann nicht fehlen, die der Stadt Hoyerswerda mit der "Franziska Linkerhand" und den "Erzählungen aus Schwarze Pumpe" ein unverwechselbares Gesicht gegeben haben. Brigitte Reimann erzählt von Meister Hanke, in dessen Brigade sie gearbeitet hat, und hier Ideen sammelte von der Arbeit in diesem Riesenkombinat und von den Menschen, die sie täglich ausführen, um in ihren Büchern so authentisch wie möglich zu schreiben. "Hanke ist 36,. Ich habe ihn auf 50 geschätzt, er ist sehr korpulent. Ein Beispiel von unendlichem Humor... Übermorgen fahre ich meine erste Schicht. Habe scheußliche Angst, aber Hanke wird mir die Angst schon nehmen. Die Brigade freut sich darauf, mich in Arbeitsklamotten zu sehen, sie wollen Fotografen bestellen..." Später schmeckt bei ihr alles nach Abschied, als sie Hoyerswerda in Richtung Neubrandenburg verlässt und Jon, das Vorbild für Ben "Franziska Linkerhand", sich von ihr trennt. "Merkwürdig, wie man sein Herz an diese öde Landschaft gehängt hat, an diese unmögliche Stadt, an die Leute... Wenn ich bedenke, dass nur ein paar Blöcke in einer Sandwüste standen, als wir hierher kamen, und jetzt ist es eine Stadt von 60 000 Einwohnern und das Kombinat ist ein riesiger Komplex geworden (in dem so gut wie nichts ordentlich funktioniert). Die Kohle geht zu Ende, vielleicht ist Hoy in zwanzig Jahren eine Geisterstadt, wie die verlassenen Goldgräbersiedlungen."
Siegfried Pitschmann kommt 1959 ein zweites Mal in die Lausitz, zusammen mit Brigitte Reimann und begrüßt den alten Bahnhof und den Bahnhofsvorplatz mit großen beleuchteten Schaufenstern als ein "heiteres Entree für Reisende in die Zukunft". Und auf der Brücke vor Schwarze Pumpe blickt er auf seine ehemalige Wirkungsstätte als Betonhilfsarbeiter mit einem vertrauten Gefühl und hofft, als Schriftsteller Erbauer eines neuen Zeitalters zu sein. 1993 wird er in Hoyerswerda zum Barbara-Tag eine Rede halten, da ist seine Sicht nicht mehr so euphorisch. Diesen Tag hat er von damals in Erinnerung mit lärmigen Aufmärschen und Standard-Reden.. am Ende war es nur das feierliche Schwarz der Bergmannskapelle mit den gelben Spiegeln und Knöpfen, die gleichsam heimatlich im Gedächtnis blieb... und der Geruch der grünen Kohle, den die Bergleute der Lausitz lieben.
Volker Braun, der einst als Baggerfahrer in Pumpe arbeitete und als blutjunger Anfänger dem "Zirkel schreibender Arbeiter" von Brigitte Reimann angehörte, sucht zehn Jahre später in Schwarze Pumpe nach seinen jugendlichen Idealen von der Utopie des Sozialismus und findet diese nicht wieder, die Realität des Staatssozialismus lässt ihn zum Kritiker werden.
Weitere Stimmen von Dichtern, wie Róša Domašcyna, Erich Loest, Ralph Giordano und Hans Nothnagel rundeten die Matinee ab, deren Textauswahl der Hoyerswerdaer Kunstverein sehr stimmig getroffen hatte.
Ein großes Lob gebührt der Museumsleiterin Kirstin Zinke und ihrer wissenschaftlichen Praktikantin Juliane Wünsche, die die Idee zur Matinee hatten und trotz der sommerlichen Temperaturen von 30 Grad im Schatten Lesung und Gesang perfekt ermöglichten, so, dass die Besucher aus den verschiedensten Regionen und Sparten alle auf ihre Kosten kamen und die Verbindung von Literatur, Musik und Industrielandschaft als natürliche Harmonie erlebten.