Von Legenden unserer Zeit

Kolja Mensing, rechts, liest beim Hoyerswerdaer Kunstverein, Mirko Schwanitz moderiert die LesungWie Legenden gesponnen und gedeutet werden, könnte Lesung und Gespräch mit dem Berliner Schriftsteller Kolja Mensing überschrieben werden. Sowohl im Leon Foucault-Gymnasium als auch abends im Schloss schlug er seine Zuhörer in den Bann. Er erzählte aus seinem Buch „Die Legenden der Väter“ , in dem er den Schicksalen der Väter in seiner Familie nachging, die in sonderlicher Weise in die Geschichten des zweiten Weltkriegs und der darin verwickelten Völker betroffen waren. Für die Schüler der zehnten Klassen im Gymnasium wurde diese scheinbar ferne Vergangenheit zu seinem spannenden Gesprächsthema, das nicht um Daten und die großen Ereignisse wie im Geschichtsunterricht kreiste, sondern vielmehr, wie man solchen Ereignissen in der eigenen Familie nahe kommen kann. Jede Generation erlebt eine eigene Prägung der Geschichte, wenn auch alles im Lauf der Kalendertage gleich erscheinen mag, so vollziehen sich doch Ereignisse, nach denen Spätere fragen mögen ‚Was hast Du damals erlebt oder getan?‘
Zehn Jahre war der Schriftsteller dem Leben seiner Vorväter nachgegangen, nachdem er erfahren hatte, dass sein Vater, der Mann seiner Mutter, nicht sein leiblicher Vater war. Auch dies geschah spät und blieb bruchstückhaft. Langsam entfaltete sich für ihn doch ein Bild, das seine Heimat, das Emsland, in ganz anderen Zusammenhängen zeigte als bisher gehört. Ausgelöst hatte das Suchen die Begegnung einer jungen Frau, seiner Großmutter, und eines jungen polnischen Soldaten, die nach den Schrecken des 2. Weltkrieges sich ineinander verliebten und sich wieder aus den Augen verloren. Nur ein gemeinsamer Sohn, der Vater des Autors, stand dazwischen, erinnerte daran. Kolja Mensing begann als junger Journalist dieser seiner Geschichte nachzugehen, das erforderte immer wieder das Lösen neuer Rätsel, verlorener Zusammenhänge und auch menschlicher Verwirrungen, abgesehen von den politischen Belastungen, die die Nachkriegszeit mit sich brachte. Ein Jahrzehnt suchte er nach Personen, die in verschiedenen Ländern lebten, stöberte in Archiven zur Geschichte dieses furchtbaren Krieges, befragte Zeitzeugen, Verwandte und Freunde. Manche schwiegen, andere erfanden Legenden, die sie als Helden oder aktive Gestalter zeigen sollten. Es waren Grenzen zu überwinden, die in unruhigen Zeiten gelegentlich neue Schwierigkeiten bereiteten. Doch es entstand ein vielfarbiges Bild, das immer neue Seiten erkennen ließ und neben den persönlichen Erkenntnissen, an in Geschichtsbüchern ungenannte, bereits vergessene Ereignisse jener Jahre erinnerte. Sowohl die Zuhörer einer ganz anderen Generation waren ebenso gefesselt wie auch die abendlich versammelten Älteren, deren Geschichtsbild neue überraschende Einblicke in bisher unbekannte Details erhielt – abgesehen von dem Charme des Erzählers und seinem Text. Für die Schüler, die selbst dem Schreiben zugeneigt sind, ergab sich zudem ein Dialog zu den Aufgaben und Anforderungen in jenem Beruf, aber auch Ermutigung. Der Abend weckte Neugier und stärkte das Erinnern. Lesen und Schreiben sind eben nicht nur Vergnügen und Abwechslung, sondern auch ständiges Lernen, Selbstbefragen und Selbsterkenntnis. 

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