Ein junger Autor findet Spuren und ist betroffen
Robert Prosser liest im Rahmen der GrenzgängeR-Projekte der Robert-Bosch-Stiftung aus seinem Roman "Phantome" beim Hoyerswerdaer Kunstverein. Mirko Schwanitz moderiert.
Von Christine Neudeck
Es ist unglaublich, was junge Leute bewirken können und welche Werte sie ihrem jungen Leben zu geben verstehen, besonders dann, wenn sie Bücher schreiben und nicht dem Mainstream folgen.
Robert Prosser ist Jahrgang 1983, geboren in Ansbach in Tirol, er lebt heute abwechselnd in seiner Heimat und in Wien. Der Roman "Phantome" ist bereits seine vierte Buchveröffentlichung. In diesem Roman beschreibt er, was der Bosnienkrieg der Jahre von 1992-1995 bei den Überlebenden hinterlassen hat: Wunden, die kaum zu heilen sind.
Beinahe ahnungslos kommt Robert Prosser 2013 nach Bosnien und findet dort allgegenwärtige Spuren eines Krieges. Robert Prosser spricht mit unzähligen Betroffenen, die halt- und heimatlos wurden, weil sie, solange sie konnten, in alle Richtungen der Welt flüchteten, spricht mit im Land Gebliebenen und beginnt, genau hinzuhören und zu fragen und schreibt seinen Roman "Phantome", das Gespenst eines Krieges, das noch so viele Jahre nach dem Krieg nicht aufgehört hat zu existieren. Sein latenter Protest eines Sprayers wird zum leidenschaftlichen Fanal gegen Krieg und Gewalt. Was lange Zeit in Europa nur wie ein Phantom erschien, wird zu einer bitterbösen Wahrheit: Gewalt, die keine Grenzen kennt und Leiden ohne Aussicht auf ein Ende.
Im Roman lässt er Sara, die Tochter Anisas, gemeinsam mit dem ehemaligen Sprayer, dem Ich-Erzähler, das Schicksal von Anisa und Jovan in Bosnien erforschen. Das Schicksal einer bosnischen jungen Frau und ihres serbischen Freundes, der zum Militär eingezogen wird. Die letzte Handlung im Leben von Ansias Vater ist die gewaltsame Verabschiedung seiner Tochter in Richtung Grenze mit den Worten "Lauf den Berg hoch!". Anisa flüchtet nach Österreich, lernt Flüchtlingslager und schmerzhaften Neuanfang kennen, heiratet und erzählt ihrer Tochter Sara nur sporadisch aus ihrem Leben in Bosnien. Jovan blieb zurück, er desertiert später aus der Armee und verliert seinen festen Halt im Leben. Ob sie sich je wiedersehen, bleibt bei der Lesung im Ungewissen.
Am Anfang des Romans wählt Robert Prosser als Stilmittel das "Babelsprech", das von Rappern gepflegt wird, ein Konglomerat von Erlebtem und Gedachtem in schnell gesprochenen kurzen, harten Sätzen - zack, zack, zack- nacheinander, das am Ende zu einer klaren politischen Haltung verdichtet wird. Das Lesen erfordert Konzentration, die zu üben sein wird.
Wenn allerdings Robert Prosser liest oder besser gesagt, frei vorträgt, wird es ein dramatischer Apell. In einem gleichförmigen musikalischen Rhythmus zitiert er ganze Passagen seiner Buches aus dem Gedächtnis und der Zuhörer ist beeindruckt und verblüfft. Wie selbstverständlich werden die Ängste und der Kick der Sprayer zu denen der Zuhörer, wird das Sprayen in U-Bahn-Schächten plötzlich zum eigenen Protest am Gefüge einer Gesellschaft. Alle Achtung Robert Prosser!
Mit dem Buch "Phantome" richtet Robert Prosser seinen Protest nicht nur gegen die Gewalttaten während der bosnischen Kriege, in Sarajevo, Tuzla, Višegrad, Mostar oder Srebrenica, er richtet ihn auch gegen unsere Gleichgültigkeit. Bosnien und Herzegowina ist als Land mitten in Europa den Europäern fast unbekannt. Kaum wahrgenommen wird der Völkermord von Srebrenica, der größte Genozid nach dem zweiten Weltkrieg. Ganz hautnah erlebt der Leser im Buch Szenen 20 Jahre nach dem Genozid während einer Gedenkfeier auf dem Friedhof von Srebrenica, zu der Sara und ihr junger Freund gereist sind. Unerwartet taucht der serbische Premier, als versuchte Geste einer Verständigung, mit seinem Gefolge auf. Die geschilderte Reaktion der Menge, eine schweigende Mauer, schwelender Hass, Spott und Steinwürfe erwecken bei Sara und ihrem Freund Ängste vor einer Eskalation, der man machtlos ausgeliefert sein würde. Robert Prosser schildert diese Szenen so eindrucksvoll und gleichzeitig so allgemein gültig, dass sie überall in der Welt angesiedelt sein könnten. Auch ganz aktuell hier bei uns.
Und heute? Wer weiß schon, wie vor allem junge Leute heute in Bosnien und Herzegowina leben, wie das Land regiert wird oder welche Aussichten bestehen, dass das Land Mitglied der Europäischen Union werden kann? Ein großes Lob für Robert Prosser, dass er mit seinem Buch so viele eindringliche Fragen stellt und an dem Abend in Hoyerswerda viele Fragen der Zuhörer sachkundig und ausführlich beantwortet. Und Dank an Mirko Schwanitz, dass er solche junge Autoren nach Hoyerswerda einlädt.
Zwei Schulstunden beeindruckender Art mit Robert Prosser am Leon Foucault-Gymnasium Hoyerswerda
Von Martin Schmidt
Der Schriftsteller Robert Prosser aus Österreich, der in diesem Jahr das erste Grenzgänger-Gespräch der Robert Bosch Stiftung im Hoyerswerdaer Kunstverein gestaltete, führte wie seine Vorgänger ein Gespräch mit Schülern der 11. Klasse des Leon Foucault-Gymnasiums Hoyerswerda. Ihm gelang in der Reihe der nunmehr fast 10 Begegnungen mit interessierten Schülern an Hoyerswerdaer Gymnasien – wie bei seinen Vorgängern – eine Überraschung: Er begann mit kurzweilig anregendem Bericht über seine Reisen in Armenien – Georgien –Aserbaidschan, und von deren Völkern und ihrer Geschichte. Er erzählte dann von seinen Begegnungen auf dem Balkan mit Serben, Kroaten, Bosniern und den schrecklichen Kriegen, die sich in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zutrugen. Er überraschte die Schüler, indem er nicht aus seinem Buch vorlas, sondern frei und auswendig mehrere Kapitel aus seinem neusten Roman „Phantome“ vortrug. Die Schüler waren sichtlich fasziniert, zumal er fast im RAP-Stil vortrug, Spannung schuf, Höhepunkte besonders betonte, so dass der Text einer Musik ähnlich die Zuhörer erfasste. Die Spannung des Textes aber auch der Situationen, von denen er berichtete, teilte sich den jungen Leuten spürbar mit, zumal einige Erfahrungen von der Situation zwischen den Balkan-Staaten Bosnien-Herzegowina und Serbien besaßen. Schweigend und äußerst aufmerksam folgte dieser Kreis daher auch einem Video, das der Schriftsteller und einstige Graffiti-Künstler bei einer seiner Reisen durch jene Länder aufgenommen hatte. Die Landschaft mit den kleinen Ortschaften, über denen die Rufe der Muezzin erklangen, die sanft steigenden Berge und Hügel bildeten einen krassen Gegensatz zu den Bildern vom Friedhofe mit seinen unzähligen weißen Kreuzen für die bei den Kämpfe zwischen einstigen Nachbarn ermordeten Menschen. Robert Prosser fällte keine Urteile, beschuldigte weder die einen noch die anderen Beteiligten. Sein Entsetzen teilte sich den Zuhörern als Mahnung mit. Er war nach den Kriegen dort gewesen, kannte die Flüchtlinge, die er in Wien wie anderen Städten Österreichs getroffen hatte. Sie suchten immer noch nach einer Heimstatt und nach gleich ihnen geflohene Verwandten. Er teilte mit den Jungendlichen an seiner Seite das Entsetzen und den Kummer. Es war ein stiller Appell zum Frieden. Dieser bestimmt auch das Buch dieses Autors, der gern in Hoyerswerda zu Gast war, wie er betonte.