Unterschiedliche Dichter mit gleichen Wurzeln

Dr. Manfred Schemel, Cottbus, erzählt über seine Erlebnisse mit dem mongolischen Dichter Galsan Tschinag (* 1944) und dessen Bekanntschaft mit den Strittmatters

Dr. Manfred Schemel 2017 beim Hoyerswerdaer Kunstverein, Thema: Der mongolische Dichter Galsan TschinagGalsan Tschinag aus den Weiten der Mongolei und die Strittmatters auf dem Schulzenhof in Bohsdorf, zwei Welten die auf den ersten Blick unterschiedlich nicht sein könnten. Bei näherem Hinschauen, eröffnet sich ein unerwarteter Gleichklang; der Mensch in seiner Liebe zu Vater und Mutter, in seiner Abhängigkeit von der Natur und in seiner dichterischen Fantasie ist überall gleich. Für Erwin Strittmatter und Galsan Tschinag ist der Quell ihrer Poesie gleichermaßen das Land der Kindheit, das in ihnen liegt und dass sie immer wieder suchen, um es nicht zu verlieren.
Galsan Tschinag wurde 1944 in der Westmongolei geboren, im Volk der Tuwa, welches als Nomaden sommers in der Steppe lebt und winters mit ihren Jurten die Nähe der Berge des Altai zieht, zum Schutz vor Kälte und Sturm. Alles in einer Höhe von 4000 m. Sie ernähren sich von Fleisch und Milch der Schafe, Rinder, Ziegen und Yaks. Das Pferd ist ihr ständiger Begleiter.
Als junger Mann war Galsan Tschinag nach Leipzig zum Studium gekommen und lernte Erwin Strittmatter (1912-1994) kennen, der bereits ein gestandener Dichter war. In dessen Büchern und Gedichten findet er die gleiche Sehnsucht vor, die er kennt, die Sehnsucht nach der großen Weite im ganz Kleinen, mit Sonne, Tau und Gras, mit Himmel und Erde, die ineinanderfließen, und den Wunsch, die Geschichten der Kindheit zu bewahren. Nach dem Studium lebt er deshalb eine Zeit lang auf dem Schulzenhof bei den Strittmatters. Ihm wird das Privileg zuteil, Erwin Strittmatter "beim Schreiben über die Schulter schauen zu dürfen". Erwin wird ihm Freund und Lehrer, der ihm hilft, seine reiche Fantasie in Poesie zu verwandeln. Und Strittmatter schreibt Galsan ein Nachwort in sein erstes Buch, was er nie für einen anderen Dichter getan hat. Das Gedicht "Wuzeln" widmet ihm Eva Strittmatter, die für Galsan ebenfalls zur Vertrauten geworden war. Darin ist zu lesen: In Ulan Bator lebt so ein Dichter, der Galsan heißt, der wird einmal groß... er lässt mich seine Berge erleben und macht mir sein Volk, das sich wandelt, verwandt.
Inzwischen hat Tschinag 40 Bücher veröffentlicht, in deutscher Sprache, die er besser beherrscht als mancher hierzulande. Heute lebt er in Ulan Bator, in der Steppe bei den Tuwinen und ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Lesereise unterwegs.
So blieb es nicht aus, dass der Erwin Strittmatter-Verein ihn unbedingt nach Spremberg einladen wollte. Er kommt und alle sind von seiner menschlichen Wärme berührt. 2010 wird er zum Ehrenbürger des Vereins gekürt und bedankt sich bei dem Vorsitzenden, Dr. Manfred Schemel, mit der Überreichung eines Gebetsschals, damit verbunden auch eine Einladung, ihn in seiner Heimat zu besuchen. Manfred Schemel lernt so die Heimat Galsans kennen und erzählt begeistert davon. Auch davon, dass Galsan Tschinag da meiste Geld, dass er mit seinen Büchern verdient, in Projekte seiner Heimat steckt, damit die uralte Nomaden-Kultur erhalten bleibt. Er will eine Million Bäume pflanzen, um alte Landschaften zu retten und versiegte Wasserquellen wieder sprudeln zu lassen. 600 000 hat er schon geschafft!
Der Abend bot auch noch eine kleine Überraschung, ein Besucher hatte bei seinen Ornithologie-Reisen in die Mongolei Galsan Tschinag auf abenteuerliche Weise kennen gelernt: weil die Tochter den Namen schon einmal bei Erwin Strittmatter gelesen hatte. Er pflegt bis heute ein freundschaftliches Verhältnis mit ihm. Literatur verbindet!

Mit freundlicher Genehmigung von Sächsische Zeitung, Hoyerswerdaer Tageblatt