Spätes Erinnern
Uwe Jordan erinnert an den ungewöhnlichen Lebensweg von Georg Herwegh (1817-1875), dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 200. Mal jährte.
Georg Herwegh, in seiner Zeit ein berühmter Dichter, der heute fast vergessen ist. Ein Conversations-Lexikon von 1866 widmet ihm (noch zu Lebzeiten) einen wunderbaren Lobgesang als Dichter und Freiheitssänger mit "politischen Poesien voll jugendlichen Feuers"; in Meyers Lexikon, herausgegeben 1962 in der ehemaligen DDR, preist man ihn als wichtigen Dichter des Vormärz, der Text schon kürzer, und es wird Marx zitiert, der ihn wegen anarchistischer Tendenzen kritisiert. Im Brockhaus von 1989 werden sehr sachlich nur noch wesentliche Abschnitte seines Lebenslaufs benannt und, dass er das Lied dichtete: Mann der Arbeit aufgewacht!
Diese Sicht wollte Uwe Jordan, der feinsinnige Leser und Schreiber, ändern, indem er im Buchhandel Gedichtetes und Geschriebenes von und über Georg Herwegh suchte, was sich als ziemlich schwierig erwies. Doch am Ende stellte er seinen Zuhörern ein berührendes Bild Herweghs vor, das aus heutiger Sicht dem Dichter und Menschen Georg Herwegh gerecht wird.
Georg Herwegh wird am 31.Mai 1817 in Stuttgart geboren, nach Unterricht in Stuttgart und Maulbronn studiert er Theologie und Jura in Tübingen. Das Studium befriedigt ihn nicht, er bricht ab und beginnt Texte zu schreiben. Dem Militärdienst entzieht er sich durch Flucht in die Schweiz, wo er Richard Wagner und Gottfried Semper begegnet, und veröffentlicht 1841 dort seine "Gedichte eines Lebendigen", diese werden aufgrund ihrer Freiheitsgedanken sehr schnell in Deutschland populär, in Deutschland, wo nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon die alten feudalen Strukturen wieder hergestellt werden sollen, wo viele kleine Fürsten in vielen kleine Staaten herrschen, wo sich aber auch eine bürgerliche Opposition etabliert hat, die mit dem Hambacher Fest eine große Euphorie auslöst.
Bei Herwegh so zu hören in "Der Freiheit eine Gasse" ...Gib uns den Mann, der das Panier/ Der neuen Zeit erfasse/ Und durch Europa brechen wir/ Der Freiheit eine Gasse!
Ebenso besingt er in "Leicht Gepäck" die Freiheit als größtes Gut, allerdings des Mannes: Ich bin ein freier Mann und singe/ Mich wohl in keine Fürstengruft/ Und alles, was ich mir erringe/ Ist Gottes liebe Himmelsluft./ Ich habe keine stolze Feste/ Von der man Länder übersieht,/ Ich wohn' ein Vogel nur im Neste/ Mein ganzer Reichtum ist mein Lied.
Mit einem ähnlichen Lied "An den König von Preußen", Friedrich Wilhelm IV., erhoffte er sich grundlegende Reformen in einer Zeit, als sich die Revolution von 1848 in allen deutschen Kleinstaaten schon ankündigte:
Die Sehnsucht Deutschlands steht nach dir,
Fest, wie nach Norden blickt die Nadel;
O Fürst, entfalte dein Panier;
Noch ist es Zeit, noch folgen wir,
Noch soll verstummen jeder Tadel!
Fürwahr, fürwahr, du tust nicht recht,
Wenn du ein moderndes Geschlecht,
Wenn du zu Würden hebst den Knecht;
Nur wer ein Adler, sei von Adel!
...Man stellt die Freien vor Gericht
Und wirft sie in die Schar der Tollen.
...Gleichviel - wie er auch immer schmollt,
Ich hab' getan, was ich gesollt;
Und wer, wie ich, mit Gott gegrollt,
Darf auch mit einem König grollen.
Wie vorherzusehen, bringt ihm das kein Lob ein, er wird des Landes verwiesen und gelangt auf Umwegen nach Paris. Hier lernt er Heinrich Heine kennen, der ihm später ein Gedicht widmet: Herwegh, du eiserne Lerche/ Weil du so himmelhoch dich schwingst/ Hast du die Erde aus dem Gesichte/ Verloren – Nur in deinem Gedichte/Lebt jener Lenz den du besingst.
Zur gleichen Einschätzung kam bereits seine Frau, Emma Herwegh, die Bankierstochter aus Berlin, die an seiner Seite 1848 mit der "Pariser deutsch-demokratischen Legion" nach Württemberg gezogen war, diese Legion wird im Gefecht von Dossenbach von den Württembergern unter Hauptmann Friedrich Lipp vernichtend geschlagen. Emma und Georg können sich nur mit Hilfe von Freunden in die Schweiz retten, danach wieder Paris. Emma Herwehg schreibt an ihn: "Die Freiheit, nach der Du strebst, die wollten sie nicht. Da ist nicht ein Tropfen heiliger Flamme."
Die Geschichte in deutschen Landen nimmt ihren Lauf, unabhängig von den kleinen Fürsten einwickelt sich eine bürgerliche Industriegesellschaft, die die Geschicke des Landes bestimmt. Noch vor Beginn des Kaiserreiches unter Preußenkönig Wilhelm I., in der später die Uhren wieder zurückgedreht werden, schreibt Herwegh 1864 sein wohl bekanntestes Lied für den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein, deren letzte Strophen so lauten:
Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will.
Deiner Dränger Schar erblasst,
Wenn du, müde deiner Last,
In die Ecke lehnst den Pflug,
Wenn du rufst: Es ist genug!
Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not!
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!
Bestenfalls sind die Zeilen, alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will, noch bekannt, der Name des Dichters schon nicht mehr.
Viele seiner Lieder sind ebenso vergessen und viele seiner Weggefährten ebenfalls. Es ist eine berührende Ehrung, die Uwe Jordan Georg Herwegh zu Teil werden lässt. Der besagte Hauptmann Friedrich Lipp gibt im Jahr 1850 ein Buch heraus mit dem Titel "Georg Herweghs viertägige Irr- und Wanderfahrt mit der Pariser deutsch-demokratischen Legion in Deutschland und deren Ende bei Dossenbach, mit einem Situationsplane". Vom Geist der Freiheit getragen hoffte Herwegh, sei die Truppe, in Wirklichkeit herrscht der Dämon des Egoismus. Ähnlich urteilt auch Emma Herwegh: Die wenigsten Menschen wollen ja dasselbe, es gibt nur ein neues Kleid für alte Götzen, es herrscht alter Egoismus neben alter Torheit. Sich selbst umzuschaffen, gelingt nicht. Später wird Friedrich Lipp äußern, "in 50 Jahren würde ich an der Seite Herweghs stehen."
Georg Herwegh stirbt 1875 in Baden-Baden.