Naturbelassene Sprache und mystische Orte
Im Rahmen der GrenzgängeR-Gespräche des Hoyerswerdaer Kunstvereins war die Autorin Esther Kinsky zu Gast. Eine Lesereihe der Robert-Bosch-Stiftung Bonn unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Stefan Skora. Rundfunkjournalist Mirko Schwanitz moderiert, wie gewohnt, mit großer Sachkenntnis.
Es gibt mystische Orte, die uns rätselhaft erscheinen, es gibt aber auch Orte und Landschaften, die mystisch wirken, weil hier alles stimmt, weil alles harmonisch miteinander verwoben ist. Für genau diese entwickelte Ester Kinsky ein besonderes Gespür. Die meisten ihrer Bücher folgen dieser Suche. So auch das am Abend in den Mittelpunkt gestellte "Banatsko", sprachlicher Hinweis auf das Banat, das heute von Grenzen drei verschiedener Länder durchschnitten wird. Weitere Bücher sind "Am Fluss", der Fluss ist hier die Themse in und um London, so wie sie kein Tourist kennt, und der Roman "Sommerfrische", der ungarische Weite und ungarisches Leben außerhalb von Folklore und Kommerz thematisiert.
Esther Kinsky, geboren 1956 in Engelskirchen, im Bergischen Land, studierte Slawistik und Anglistik. Neben eigenen Werken ist sie als Übersetzerin tätig, sie übersetzte aus dem Polnischen "Sandberg" von Joanna Bator und "Taghaus, Nachthaus" von Olga Tokarczuk, die beide von Dr. Wessig im Hoyerswerdaer Kunstverein bereits vorgestellt wurden, nur leider nimmt man die Namen der Übersetzer nur selten zur Kenntnis, durchaus ein Fehler, wie man seit heute weiß. Denn Esther Kinsky kann mit Sprache fühlen, sie kann sich authentisch der Sprache anderer Autoren anpassen.
In ihren eigenen Büchern sucht sie "ihre" mystischen Landschaften, sie beurteilt nicht, sie verurteilt nicht, sie erzählt und passt sich in ihrem Fall der Sprache der Landschaft an, bestehend aus den Gegebenheiten der Natur mit Dingen, Farben und Gerüchen, aus Mensch und Kreatur, und aus ihr, der Autorin selbst. Der Leser glaubt, die Landschaft erzähle uns höchstpersönlich ihre Geschichte. Die Abschnitte, die Ester Kinsky aus "Banatsko" liest, zeigen dies sehr eindringlich. Das Banat war bis zum Ende des ersten Weltkriegs eine zusammenhängende Kulturlandschaft, bewohnt von Ethnien verschiedenster Ausprägungen. Heute gehört ein kleiner Teil zu Ungarn, weitere zu Rumänien und Serbien. Nicht Esther Kinsky vernimmt man, sondern der Bahnhof im ungarischen Battonya selbst erzählt uns seine Geschichte mit einem Ortsnamen in drei verschiedenen Sprachen, ein Bahnhof, dessen Gleise ein paar hundert Meter weiter in Gestrüpp und Schotterhaufen an einer Grenze versickern, ein Bahnhof, der ein Gedächt zu haben scheint, das in seiner Ruhe und Gelassenheit Heimat erzeugt. Ebenso scheinen die Jahreszeiten selbst von einem Apfelbaum zu erzählen, der nach dem Winter erst Blüten und dann bittere Früchte trägt, die der Mann sorgfältig bewahrt bis sie mild werden und es wieder Frühling wird und im nächsten Herbst werden die Äste des Baumes zum Grab des Mannes, über den der Schnee bis zum nächsten Frühjahrein weißes Tuch breitet. Kreislauf alles Lebenden in einem Bild, das trotz des Todes berührt und nicht verstört.
Mirko Schwanitz stellt kluge Fragen und lässt Esther Kinsky von ihrer unspektakulären, aber reichen Poesie erzählen, von der großen Weite, die im Kleinsten zu finden ist und das diesem Muster auch ihre Kinderbücher und Lyrik-Hefte folgen. Erstaunlich, welche Vielfalt an Dichtern und Dichtkunst immer wieder zu entdecken ist.
Mit freundlicher Genehmigung von Sächsische Zeitung, Hoyerswerdaer Tageblatt.