Mit dem Blick eines Statikers
Manfred Pilz, Dresden, berichtet über den Aufbau von Hoyerswerda Neustadt und den Wiederaufbaus der Dresdner Semperoper
Ähnlich wie in allen Bereichen der Natur und der Gesellschaft bedarf ein Gebäude einer stabilen Basis. Diese gewährleisten im Bauwesen die Statiker. Nicht umsonst tragen sie diesen Namen, sie sorgen seit Jahrhunderten dafür, dass alle Kräfte, aus Eigengewicht, Nutzlast, Wind und Schnee sicher in den Untergrund weitergeführt werden und das Gebäude statisch, also im Gleichgewicht bleibt. Wie man aus der Geschichte weiß, ist das nicht immer perfekt gelungen.
Bei der Errichtung der Neustadt aus vorgefertigten Platten konnten die Statiker, Manfred Pilz und Dr. Peter Wehle nicht auf vorhandenes Wissen zurückgreifen, da diese Art des Bauens neu war. Richard Paulick, der damalige Chefarchitekt beim Aufbaustab Hoyerswerda, gab diesen blutjungen Bauingenieuren 1958 die Chance, komplizierte Berechnungsgrundlagen für diese Bauweise zu entwickeln, die von erfahrenen Statikern zwar nicht geprüft werden konnten, aber einen Prüfstempel erhielten. Wie man heute sieht, stehen die Gebäude in Hoyerswerda Neustadt noch immer.
Besonders erwähnt sei als Neuheit die Berechnung der ersten Hochhäuser in Plattenbauweise in der heutigen Bautzener Allee, sowie Berechnung und Herstellung der Deckenplatten mit vorgespannten Stählen im Betonwerk Hoyerswerda, die zu enormen Materialeinsparungen führten und in den Gebäuden der Wohnkomplexe 5 bis 10 noch immer für die Standsicherheit sorgen. Eine weitere Herausforderung für die Statiker war der Baugrund der Stadt, der wie wir alle wissen, ein von vielen Wasserläufen und Gräben der Schwarzen Elster und des Schwarzwassers durchflossenes Gelände war, das es "zu beherrschen" galt, damit die Häuser nicht im wahrsten Sinn ins Wasser fielen.
Als umtriebiger, neugieriger Ingenieur suchte Manfred Pilz nach neuen Herausforderungen, die boten sich ihm mit dem Wiederaufbau der Semperoper an, bei dem er von der Grundsteinlegung im Jahr 1977 bis zur Einweihung 1985 tätig war. Die Probleme der Stabilisierung des 1945 zerstörten Bauwerkes waren hier in mehrfacher Hinsicht schwierig, Wände waren durch den Brand geschädigt und mussten verstärkt werden, neue Fundamente waren zu errichten, wo sich im Untergrund Reste des alten Wallgrabens und der alten Stadtmauer fanden und riesige Abwassersammler zu überbauen waren. Er entwickelte ein neues Gründungsverfahren, für das er die Maschinen selbst konstruierte und auf der Baustelle ausprobierte.
Nebenbei erzählt Manfred Pilz auch von den Vorgängerbauten der Semperoper und von den vielen Hindernissen des Wiederaufbaus. Der Maschinenpark war bescheiden, handwerkliche Kunst auf vielen Gebieten war gefragt und teilweise neu zu erlernen. Die Maler für die Innengestaltung hatten nur spärliche Zeugnisse aus der alten Semperoper zur Verfügung, sie fertigten die Bilder im halb zerstörten Palais im Großen Garten unter widrigen Bedingungen vor und "klebten" sie dann an Wände und Decken. Alles unter Zeitdruck des Fertigstellungstermins zum 13. Februar 1985, dem 40. Jahrestag der Zerstörung der Oper. Dank des agilen Oberbauleiters Gottfried Ringelmann und des Chefarchitekten Wolfgang Hänsch ist das gelungen.
Nun strahlte die Semperoper im neuen Glanz, allerdings, wenn man es genau nimmt, ist es in Dresden bereits der 10. Theaterbau am Theaterplatz und der dritte im Sinne von Gottfried Semper. Seine erste Oper am Theaterplatz, von 1838 bis 1841 gebaut, war damals eines der schönsten europäischen Theater mit erstmals Rund-Foyers und von außen funktionell als Theater erkennbar, mit einem hohen Bühnenturm und prächtig verziert, innen und außen. Semper hatte bereits auch Pläne für die spätere Gemäldegalerie vorgelegt, als er 1849 Dresden wegen der Teilnahme am Maiaufstand verlassen musste. Sein "Königliches Hoftheater" brannte 1869 nieder. Nach Dresden durfte er noch immer nicht zurück kommen. Die Dresdner Bürger baten ihn trotzdem, die Pläne für eine neue Oper zu erarbeiten, was er auch tat. Sein Sohn Manfred Semper übernahm die Bauleitung, fertig gestellt 1878. Manfred Pilz zeigte Originalbriefe, die nun zwischen Vater und Sohn über die Jahre der Bauzeit hinweg getauscht wurden.
Beim "dritten" Semperbau nach der Kriegszerstörung wurden die Theatervisionen Gottfried Sempers weitgehend beibehalten, nur eben moderner Bühnentechnik angepasst.
Die Zuhörer des Abends folgten dem sehr lebendigen Vortrag begeistert und erinnerten sich sicher an den fast zeitgleichen Neubau der heutigen Lausitzhalle in Hoyerswerda, deren Grundsteinlegung 1976 erfolgte und die 1984 eingeweiht wurde und seither kultureller Mittelpunkt unserer Stadt ist, ähnlich der Semperoper in Dresden.