Ein schmerzlich erkauftes Gefühl der Würde
Uwe Jordan liest von Nobelpreisträger Gabriel García Márquez ( 1927-2014) den Roman: Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt.
Insgesamt 15 Jahre lang wartet der Oberst auf Post, auf einen Brief, in dem ihm sein Vaterland Kolumbien die wohlverdiente Veteranen-Pension bescheinigt, 15 Jahre, in denen er und seine Frau unsäglich hungern. Von dem wenigen Geld, dass die Frau nur sporadisch mit Schneiderarbeiten verdient, ernähren sie zusätzlich den ehemaligen Kampfhahn des Sohnes, der als junger Mann während eines Hahnenkampfes von Spitzeln der Militärdiktatur erschossen wurde.
Es ist unglaublich, welche Spannung Gabriel García Márquez mit sehr pointierten Worten in einem eng begrenzten Handlungsrahmen aufbauen kann, von Uwe Jordan mit Sicherheit im Sinne des Dichters gelesen. Die Gespräche des Oberst mit der Frau, die möchte, dass der Hahn verkauft wird, das Schweigen auf beiden Seiten, weil der Oberst immer auf's Neue warten möchte, das gemeinsame Essen, obwohl fast nichts auf dem Tisch steht und die immer wiederkehrenden Asthmaanfälle der Frau bilden den Rahmen für den Tagesablauf im Haus. Dazu gehört auch der morgendliche Ausgang mit dem Hahn, der nachts am Bett festgebunden ist. Einzige Ausnahme im Geschehen, der Oberst legt seinen Festanzug zu einer Beerdigungsfeier im Dorf an, als ein junger Mann zu Grabe getragen wird, seit langem der erste, der eines natürlichen Todes starb, denn Hinrichtungen waren schon fast alltäglich geworden.
Als sich der Oberst nach andauerndem Hungern doch entschließt, den Hahn zu verkaufen, stehlen die ehemaligen Freunde des Sohnes den Hahn und lassen ihn zu einem Kampf antreten und der Hahn kämpft so tapfer und unerschrocken, dass der Oberst den Hahn zurückholt und wie beseelt mit der Dorfjugend in einem Festzug nach Hause zieht, etwas vom Mut und vom Kampfeswillen des Hahnes ist auf ihn übergesprungen.
Die Reaktion der Frau bleibt undurchsichtig, freut sie sich, dass der Hahn wieder da ist oder bewundert sie den Mann, der so freudig erregt daher kommt? Am Ende bleiben 45 Tage bis zum nächsten großen Turnier, dass der Hahn gewinnen soll, was reichlich Gewinn verspricht und dem Hunger ein Ende bereiten wird. Doch wovon soll man bis dahin leben? Die Antwort des Oberst: Von Scheiße.
Márquez vereint in der Gestalt des Oberst in seinem ersten wichtigen Buch viele Erfahrungen seines eigenen Lebens und die politische Situation in seiner Heimat Kolumbien. Er hatte als Reporter bei verschiedenen Zeitungen in Bogota gearbeitet und die kolumbianische Diktatur der 50er Jahre erlebt. Dabei kam er rund um die Welt und erfuhr die politischen Diskrepanzen nicht nur in Südamerika, sondern auch in Europa, Asien und Amerika und wurde ein Sozialist, der seine Haltung ein Leben lang beibehielt. Seine Bücher aber werden nicht von einem sozialistischen Realismus geprägt, die Fachwelt nennt seinen Stil einen magisch-realistischen, bei dem reale Situationen in Träume, in Rückerinnerungen und Zukunftsvisionen eingebettet werden. Dafür erhält Gabriel García Márquez 1982 den Literaturnobelpreis, besonders für seinen Roman "Hundert Jahre Einsamkeit".
Uwe Jordan lässt das Leben des Oberst, dem keiner schreibt, in seiner Lesung sehr lebendig werden. Allerdings ist der Held nicht von Mystischem umgeben, es drängt sich eher der Vergleich zu Don Quichotte de la Mancha auf, diesem tragischen Helden des Cervantes. Doch der Oberst bei Márquez ist keine tragische Figur, er ist ein Mann, der Würdeloses erlebt, aber Stolz und Würde nicht verliert.