Kirchenbauten dokumentieren Zeit und Zeitläufe
Erich Busse stellt Kirchen in Deutschland vor, die eine besondere Geschichte zu erzählen haben. Hoyerswerdaer Kunstverein 2016.
Es sind nicht nur große und gewaltige Kirchen, die eine außergewöhnliche Geschichte ihr eigen nennen. Erich Busse, Pfarrer im Ruhestand aus Dresden, geht diesen Geschichten seit vielen Jahren mit Leidenschaft nach. Wie in einem großen, teils heiteren, teils nachdenklichen Reigen führt er die Zuhörer durch deutsche Kirchen und deutsche Geschichte über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren.
Der Weg beginnt in dem altehrwürdigen Dom zu Aachen, den Karl der Große in Auftrag gab, begonnen im Jahr 796, gebaut als Oktogon, acht Ecken für die sieben Tage der Schöpfung und ein Tag für die Vollendung derselben, baulich Ergänzungen in allen Stilepochen. Allein an diesem Ort kann man die Geschichte des deutschen Volkes erleben: Machtdemonstration, Glaubenskriege, die gewaltige Schlachten Karl des Großen bis hin zum Blutgericht von Verden, bei dem Tausende Germanen hingerichtet werden, weil Widukind sich gegen Karl den Großen gestellt hatte. Archäologen konnten dieses Ereignis nicht eindeutig belegen, während der Zeit des Nationalsozialismus allerdings mussten die umliegenden Bauern von Verden 4500 Findlinge, einen für jeden einzelnen Hingerichteten, an diesen Ort transportieren, der dann als "Sachsenwald" zu Aufmarschplatz und Pilgerstätte wurde. Während des zweiten Weltkrieges fielen Bomben auf den Dom zu Aachen, mutige Jugendlichen bewahrten ihn vor der völligen Zerstörung. Ein Teil der Kunstwerke wurde gerettet, unter anderem der berühmte Karlsthron. Heute wie ehedem steht der Besucher ehrfurchtsvoll und verzaubert unter Barbarossa-Leuchter und großer Kuppel des Oktogons.
Im Schnelldurchgang wusste Erich Busse noch unzählige Geschichten zu erzählen, vom Dom zu Marburg, vom Kölner Dom, vom Ulmer Münster, vom Dom in Frankfurt und vom Deutschen Dom in Berlin, die jeweils für sich allein ein Abend füllendes Programm bieten könnten.
Aber auch viele unbekannte Begebenheiten kamen zur Sprache. An den Wänden der Kirche in Kremmen, nördlich von Berlin, finden sich in der Außenwand "Fieberlöcher". Diese wurden von Gläubigen aus dem Ziegelmauerwerk ausgekratzt, der Staub zu Tee verarbeitet, von ihm erhoffte man sich Heilung für verschieden Krankheiten.
Bad Wilsnack in der Prignitz besitzt eine alte Wallfahrtskirche, die Wunderblutkirche. Nach einem großen Brand im Jahr 1383 fand man in der Asche drei unversehrte blutige Hostien, die als Reliquie in einem Schrein Wallfahrer aus ganz Deutschland herbeiführten, der Weg dahin ausgeschildert mit wunderschönen Wegkreuzen, die heut noch bis Lübeck nachverfolgt werden können. Friedrich II., Kurfürst von Brandenburg, stiftete um 1460 einen prachtvollen dreiteiligen Marienalter, der der Bilderstürmerei nicht zum Opfer fiel und bis heute erhalten ist. Wilsnak wurde reich. Mit der Reformation änderte sich das Glaubensverständnis und die Reliquienverehrung wurde beendet. Wilsnack wurde wieder der unbedeutend Ort. Jetzt weiß man auch, wieso hier eine übergroße Kirche die umliegende flache Landschaft dominiert.
Neben vielen weiteren Kirchen beeindruckt auch die Geschichte der Dorfkirche Ribbeck im Havelland, die mit Theodor Fontanes Gedicht "Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland" verbunden ist, das nach Meinung von Erich Busse eine ganze Predigt ersetzt: wie einer über seinen Tod hinaus Gutes tut gegen den Willen seiner gierigen Erben. Beeindruckend auch die Geschichten der Barlachskulpturen im Dom von Magdeburg und im Dom von Güstrow. Weniger erfreulich die heutige Nutzung aufgelassener Kirche als Restaurant und ein bisschen zu verstehen die Nutzung als Mittagstisch für Obdachlose. So hat jede Zeit ihre Wege, heute auch Wege, bei denen die Kirche vom Menschen lernt, nicht nur umgekehrt.