Hoyerswerdaer Kunstverein, Schloss, am 03.11.2016

Reiseziel endlich oder unendlich?

Lesung mit Uwe Jordan zu dem französischen Schriftsteller Robert Merle (1908-2004) beim Hoyerswerdaer Kunstverein

Uwe Jordan liest aus "Madrapour" von Robert Merle, 2016 beim Hoyerswerdaer KunstvereinReiseziel Paradies oder Hölle? So könnt man auch fragen, wenn man mit Robert Merles Roman "Madrapur" näher bekannt wird. Uwe Jordan bezeichnet dieses Buch als das gelungenste des französischen Autors Robert Merle. Von ihm bekannt sind außerdem "Malevil", "Ein vernunftbegabtes Tier", "Die Insel", "Der Tod ist mein Beruf" und viele weitere, darunter auch ein 13-bändiges Werk über die Geschichte Frankreichs im 16. und 17. Jahrhundert mit dem Titel "Fortune de France".
In allen diesen Werken versucht Robert Merle, den Motivationen des Menschen für sein Tun im Laufe der Jahrhunderte auf die Spur zu kommen. Eine erstaunliche Vielfalt begegnet hier dem Leser. Konzentriert und auf den Punkt gebracht scheint diese Suche in dem kleinen Büchlein "Madrapur". Die Zahl der handelnden Personen ist auf wenige begrenzt, noch kleiner ist der Handlungsraum in einem auf rätselhafte Weise leeren Passagierflugzeug, das vom einem "Boden" aus fern gesteuert wird, einem Boden, den niemand sieht oder kennt. Noch enger gefasst ist die Zeit, sie verkürzt sich beim Leser auf die wenige Zeit, die er liest, dann scheint es, als könnte auch er nicht entkommen.
Akteure der Handlung sind Erwachsene, allesamt mit einem fertigen Weltbild, die sich auf ihrer letzten Reise befinden, der sie nicht entkommen werden, sie wissen sie das nur noch nicht. Selbst der Leser kann es nur ahnen. Allerdings gibt es eine Ausnahme: Neben einem Sprachforscher, neben Waffenhändler und Ölsucher, einem Händler in Sachen Tropenholz, einer Bordellbesitzerin und zwei Damen, die sich amüsieren wollen, einem einsamen Mädchen und einem CIA-Agenten gibt es ein indisches Paar, das unter Androhung von Gewalt den Ausstieg aus dem Flugzeug erzwingt und das "Rad der Zeit" verlässt. Beim mysteriösen Weiterflug muss nach und nach eine Person das Flugzeug verlassen. Die Erzählung endet als der Erzähler selbst an der Reihe ist. Wohin die Reise der Übrigen geht, bleibt im Dunkeln. Sehnsuchtsland für alle war und ist das legendäre "Madrapour", dort hoffte man auf Geschäfte, Vergnügungen aller Art, auf politische Machausübung und auf Forschungsmöglichkeiten. Eine ganze Palette von Eitelkeiten, Dummheiten, Überheblichkeit und Selbsttäuschung hat Merle hier versammelt, was uns im Hinblick auf unser eigenes Leben erschreckend bekannt vorkommt.
Einen Hoffnungsstrahl an Menschlichkeit in dem düsteren Geschehen dieser Reise gibt es einzig in der Begegnung des Erzählers, des Sprachforschers Dr. Sergius, mit der jungen und liebenswerten Stewardess, die sich um alle fürsorglich und ordnend kümmert, deren Weltbild noch nicht verkrümmt ist, die das absurde Geschehen mit Liebe und Wärme begleitet und die noch an Bord ist, als für Dr. Sergius die Reise endet. Vielleicht eine Hoffnung darauf, dass ihre Lebensreise nicht beendet wird, bevor sie etwas von ihrer Liebe und Humanität an eine neue Generation weiter gegeben hat? 
Sicher ganz im Sinn von Robert Merle gestaltete sich das Gespräch im Anschluss an die Lesung. Viele Möglichkeiten der Deutung der Reise zu dem Land "Madrapour" waren zu hören, die Anmahnung von Zivilcourage, die Fiktion in der Literatur als Lebenselixier, der philosophische Anspruch Merles an Lebensziel und Zeit und die Verbindung zu heute, zu unserem politischen Alltag. Doch eine erstaunliche Menge, was Literatur bewirken kann.