Lernen, das Nahe als die Welt zu sehen
Die Matinee des Hoyerswerdaer Kunstvereins gestaltete am vergangenen Sonntag der Schauspieler Rainer Gruß vom Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen, Sie erinnerte an den zehnten Todestag und den 100.Geburtstag des sorbischen Schriftstellers Jurij Brězan In diesem Jahr. Kurz vor seinem Tod hatte der Autor die Erzählung „Der alte Mann und das enge Weite“ vollendet, deren Erscheinen er leider nicht mehr erlebte, wie es in einem kurzen Bericht zu seinem Leben und Schaffen hieß, ehe Rainer Gruß die Zuhörer mit der Erzählung in seinen Bann zog. Dabei verzichtete er auf große Gesten, fesselte seine Zuhörer allein mit sehr einfühlsamen, unaufdringlichem Modulieren der Stimme,. Wohl gesetzte Pausen unterschiedlicher Länge vermittelten den Wechsel vom darstellenden Bericht, z.B. vom Entstehen des Gartens, nach dem Erwerb eines halben Hektars Sandboden auf einer eiszeitlichen End-Moräne und dessen Fruchtbarmachen , in meditative Betrachtungen zur Natur und kurzen Selbstgesprächen zu Zeit und Leben. Ein vom Schriftsteller wiedergegebene Gespräch mit einer Journalistin aus dem Großstadt-Milieu am Rhein erheiterte und forderte das Nachdenken der Zuhörer gleichermaßen.
Einen Teil der Lesung kann man hier nachhören:
Jurij Brězan erzählte, er sei glücklich, unter Bäumen zu wandern, die von ihm auf kargen Boden gepflanzt nun ihre Kronen weit entfalteten, nun Schatten spenden. Gefragt nach seinem tiefsten Erlebnis, schilderte er die Oster-Prozession in der Nacht 1946 – gerade Krieg und Gefangenschaft entronnen, an der meist nur Frauen teilnehmen konnten, da die Männer noch nicht heim gekommen waren: Als die Glocken läuteten, verstand ich Auferstehung. Sie waren den steten Lebensbedrohung des Krieges entronnen, dies sei sein tiefstes Erlebnis, gestand der 90jährige. Er brauche auch nicht in die Welt hinaus, wie heute üblich, Weite sei ihm „Das Nahe als Welt sehen zu können.“ Die Lesung war gleichsam ein Spaziergang durch den Garten, dessen Bäume bereits groß sind, an deren pflanzen er sich immer wieder erinnert, ‚auf diesen Baum bin ich stolz‘ beantwortete er die Frage nach dieser Haltung. Der Mensch als Teil der Natur, die er, der Schriftsteller staunend, bewundernd neben sich entwickeln sah. Leben umgeben von Wachsen, Vergehen, vom Blühen und Samen spenden, vom Teilen der Früchte des Kirschbaumes mit den Amseln, mache ihn glücklicher als die größte Ernte im eigene Korb. Die enttäuschte Reporterin klagte: „Ich wollte mit Ihnen über Literatur sprechen und sie erzählen mir von ihren Gewächsen – das ist zu wenig“. Die Literatur- und Naturfreunde in Hoyerswerda dagegen waren froh, mit Jurij Brězan auf neue Weise die Natur des grünen Hoyerswerda und die vielfältigen Gesichter der Lausitz entdecken zu können. Dem Dichter und der Sprach-Kunst von Rainer Gruß sei Dank!