Literatur zum Anfühlen

Der amerikanische Schriftsteller Joseph Heller (1923-1999), vorgestellt von Uwe Jordan beim Hoyerswerdaer Kunstverein

Uwe Jordan liest "Catch 22" von Joseph Heller 2016Lebend wieder herunterkommen. Das ist das einzige Ziel des amerikanischen Bomber-Piloten Capitain Yossarin, des Protagonisten im Roman "Catch 22" des amerikanischen Schriftstellers Joseph Heller.
Uwe Jordan
stellt Autor und Roman vor, das heißt eigentlich liest er ausgewählte Kapitel so perfekt und eindringlich, dass der Krieg mit all seinem Irrwitz den Zuhörern beängstigend nah vor Augen steht. 
Wir erleben Captain Yossarin im zweiten Weltkrieg als Pilot der amerikanischen Luftflotte, auf einer Insel im Mittelmeer stationiert. Er will überleben um zu leben, er will keine weiteren Ziele mit seinen Bomben treffen müssen. Doch da stehen ihm viele Dinge im Weg. Als allererstes der Krieg an sich, der ihn zwingt, Gewalt auszuüben, obwohl er eher passiv gehofft hatte, dass dieser enden möge, bevor seine Ausbildung abgeschlossen ist. Hinzu kommt eine lawinenartige Maschinerie von Staat und Armee, verbunden mit dem grotesken Ehrbegriff, dass es eine Auszeichnung sei, wenn ein amerikanischer Offizier für sein Vaterland stirbt. Das Ausmaß des bedingungslosen Einfangens von Leib und Seele eines Soldaten war ihm bisher nicht bewusst geworden. Das Mürbemachen von Menschen mit fiesen Tricks, damit sie als Soldaten ohne Hirn funktionieren, nennt er Catch 22. Diese Methode zeigt er in vielen brillant geschriebenen Dialogen. In der ersten deutschen Übersetzung von 1961 wurde der Roman daher "Der IKS-Haken" betitelt, eine Irrwitzklausel. 
Es ist ein Buch über die Absurdität von Krieg und sinnlosem Taktieren beim Militär und hört sich nicht passiv an, sondern ist eindeutig gegen physische und psychische Gewalt auf den Punkt gebracht. Sicher hat noch nie einer so dicht am und über den Krieg geschrieben, bis ins kleinste Detail die Missachtung von Menschenwürde und freier Entscheidung so grotesk demaskiert. 
Joseph Heller erstellt eine bizarre Mischung aus eigenem Erleben und Fiktion, die das Geschriebene zur Literatur macht, die man genießen sollte. Allerdings ist das Genießen nur bis zu einem gewissen Punkt angesagt, das anfängliche Lachen erstarrt, wenn ein seitenlanger Dialog im Nichts endet, im Nichts für den Untergebenen vor seinem Vorgesetzten. Wie man es auch dreht und wendet, man ist und bleibt ein Ausgelieferter. Der Krieg als ein vielfältiges Panoptikum für Karrieregeile, für Machtspielchen und Intrigen, für Geschäftemacher und die, die für alle zum Spielball werden, die jeweils Untergebenen. Untergebene aber, die alles richtig machen, jeden Befehl akkurat ausführen, jede Ungerechtigkeit aufdecken wollen, werden zum Narren, wie der Pilot Clevinger, ein junger Mann, der mit Intelligenz und Verstand funktionieren will, aber gerade deshalb den Machenschaften der Lügner und Betrüger unterliegt. "Er wusste alles über Literatur, nicht aber, wie sie zu genießen ist", urteilt Yossarian über ihn. Clevinger war das Menschsein abhanden gekommen.
Mit einem sehr feinen Gespür für Worte und Wörter gelingt es Joseph Heller, den Leser in die Rolle des Untergeben und Verachteten zu drängen, er spürt förmlich die Ohnmacht und die Angst am eigenen Leib und wird so zum Nachdenken verurteilt. Literatur zum Anfühlen eben.