Als die Zeit still stand
Rainer Gruß, Schauspieler am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen, liest aus "Die verschwundene Miniatur" von Erich Kästner
Das Jahr 1935 war für Erich Kästner ein Jahr, in dem die Zeit für ihn still stand, so wie für unzählige andere Schriftsteller in Deutschland auch, deren Bücher 1933 verbrannt worden waren. Erich Kästner erhielt 1933 Schreibverbot, was ab 1935 in ein Publikationsverbot umgewandelt wurde, so entstand dieser "unpolitische" Erwachsenen-Roman, der am Ende so unpolitisch gar nicht war, wenn davon die Rede ist, wie es wäre, wenn die Sonne nur auf die Gerechten schiene, während die Ungerechten im Schatten stünden?
Die Handlung beginnt in Kopenhagen, in einem Kaffeehaus. Kaffeehäuser sind Erich Kästner ohnehin als Schreibort und als Studienplatz für menschliche Schwächen immer ein wichtiges Refugium gewesen.
Der deutsche Kunsthändler Steinhövel hat in Kopenhagen eine wertvolle Miniatur von Holbein ersteigert und will diese unbeschadet nach Berlin bringen. Er weiß, dass sofort auch Kunsträuber und Versicherungsagenten auf seiner Fährte unterwegs sind und lässt deshalb eine Kopie anfertigen. Fräulein Irene Trübsinn, seine Assistentin, trifft im besagten Kaffeehaus auf den Berliner Fleischermeister Oskar Külz und bringt ihn dazu, sie im Zug nach Berlin beim Transport der Miniatur zu unterstützen. Allein die Dialoge zwischen Külz, dem dänischen Kellner und Fräulein Trübsinn auf dieser Kaffeehausterrasse sind ein brillantes Stück Literatur und werden durch Rainer Gruß im wahrsten Sinn des Wortes zum Genuss, zumal auch vom Wohlgeschmack der Külzschen Fleischwaren in den unzähligen Berliner Filialen eine Menge Appetitliches zu hören ist.
Was nun folgt, ist ein Spiel von Verwechslungen und Verfolgungsjagden, keiner weiß mehr genau, wer hat das Original und wer die Fälschung. In die Handlung wird auch eine Hommage für die Stadt Bautzen eingeflochten, die für Rainer Gruß der Anlass war, diesen Roman in sein Repertoire aufzunehmen. Mit gekonnt unterschiedlichen Stimmlagen und feinfühligen Temperamenten der Agierenden nahm er die Zuhörer mit hinein in die vielen witzigen und brillanten Dialoge nach Kästnerscher Art. Am Ende geht alles gut aus und der "empfindsame" Fleischermeister Külz erhält auf seinem neuen Weg in die Gefilde der Kunst die Fälschung als Erinnerung.
Man darf sich schon heute auf die nächste Matinee mit Rainer Gruß freuen.