Stasi-Opfer dürfen nicht vergessen werden
Selbständig denkende Menschen, die mit Gleichgesinnten über Veränderungen in der DDR diskutierten, gerieten schnell in den Blick des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).
Dieses Schicksal hatten der evangelische Pfarrer i.R. Dietmar Linke aus Berlin und seine Familie in den 1970er und 1980er Jahren erlebt. Von den systematischen Zerstörungsversuchen des MfS, die zur erzwungenen Übersiedlung der Linkes nach West-Berlin im Jahr 1983 und zu einer weiteren Stasi-Überwachung bis 1989 führten, berichtete der Pfarrer auf einer Veranstaltung des Kunstvereins im Hoyerswerdaer Schloss. Eigene Erlebnisse und Inhalte seiner Stasi-Akten hatte er zu seinem 2015 erschienen Buch "Bedrohter Alltag" zusammengestellt, das Arbeitsmethoden des MfS und seine Verflechtung mit kirchlichen Behörden der DDR und West-Berlins beleuchtet. Diese Lesung und selbigentags eine weitere im Christlichen Gymnasium Johanneum Hoyerswerda wurden vom sächsischen Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen unterstützt, sagte der Kunstvereins-Vorsitzende Martin Schmidt.
Besonders schlimm war für Dietmar Linke, aus seinen Stasi-Akten herauszufinden, dass eine vermeintlich gute Freundin der DDR-Jahre IM gewesen war. Durch ihre Informationen konnte die Stasi im Winter 1980 das Pfarrhaus der Linkes in Neuenhagen bei Berlin mit Abhörtechnik ausstatten. "Wir waren damals im Urlaub und IM Gisela hatte das gewusst", erzählte Dietmar Linke. Dass die Stasi 1983 sein Arbeitszimmer "verwanzt" hatte, bekam er selbst zufällig mit und informierte seinen juristischen Dienst-Vorgesetzten, den Konsistorialpräsidenten Manfred Stolpe. "Dieser unternahm nichts, um den Sachverhalt aufzuklären", so Pfarrer i.R. Linke. Heute ist bekannt, dass Stolpe damals der IM Sekretär war. Die offiziellen Mitarbeiter des MfS arbeiteten unterdessen daran, den Pfarrer in Neuenhagen unglaubwürdig zu machen und zu kriminalisieren. Ein von der Stasi verfasster Brief streute das Gerücht, er hätte Spendengelder der niederländischen Partnerkirchgemeinde nicht zweckentsprechend verwendet. Die niederländische Adresse für diese perfide Aktion stammte aus der Postüberwachung, der Familie Linke ausgesetzt war. Derart in die Enge getrieben und von IM Gisela moralisch unterstützt beantragten Linkes im November 1983 die Übersiedlung nach Berlin-West. Dort kamen sie am 22. Dezember des Jahres kurz vor Mitternacht an, ohne Geld und ohne Wohnung. "Meine Ordination als Pfarrer hatte ich auch abgeben müssen", erzählte Dietmar Linke. Erst 1987 durfte er im Wedding wieder als Pfarrer arbeiten, aber die Stasi überwachte ihn noch bis zum 9. November 1989.
Im Zuge der Arbeit an dem Buch befragte Pfarrer i.R. Linke einige Spitzel zu ihrem damaligen Tun. Sie hatten offenbar kein Schuldbewusstsein dazu entwickelt, dass ihre Aussagen das Leben einer Familie zerstört haben. Dietmar Linke sieht die IM's aber auch als Opfer des staatlichen Überwachungssystems, denn sie wurden durch ihre Schweigeverpflichtung ihrem privaten Umfeld entfremdet und an ihren Führungsoffizier gebunden. Mit den Lesungen will er erreichen, dass Menschen einander erzählen, wie sie jenseits der Ostalgie DDR erlebt haben.
Da heute immer noch Geheimdienste Menschen überwachen hat das Buch einen sehr aktuellen Bezug, denn Ziel muss eine Gesellschaft sein, die auf gegenseitigem Vertrauen basiert.