Vortragsabend von Dr. Wolfgang Wessig, Galizien - Abschied vom „Paradies“

Dr. Wessig (rechts) mit Helene und Martin Schmidt

Nur wenige kennen noch den Namen Galizien und nur wenige wissen etwas von der reichhaltigen Kultur die diese Gegend einmal prägte, welche heute teilweise zu Polen und teilweise zur Ukraine gehört. Das wirtschaftliche und geistige Zentrum Galiziens war Lemberg, das heutige Lwiw in der Ukraine. In den vergangenen Jahrhunderten siedelten hier Polen, Ukrainer, Armenier, Juden und Deutsche, zusätzlich geprägt wurde die Region von unterschiedlicher staatlicher Zugehörigkeit, besonders von der zu Österreich. Das Zusammentreffen der Einflüsse aus Ost und West schaffte außerdem Konkurrenz und damit vielfältige individuelle Kreativität.
Dr. Wessig erinnert in der Reihe „Grenzgänge“ dieses Mal an Dichter, die Galizien bewundern und besingen.
Er stellt Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895) und Andrzej Stasiuk (geb. 1960) vor. Obwohl beide mehr als ein Jahrhundert trennt, ist für sie die galizische Kultur etwas paradiesisches, aber Erinnerungen sind existent und trügerisch zugleich.
Leopold von Sacher-Masoch schreibt Geschichten, die das gesamte Spektrum des Lebens beleuchten unter dem Titel „Das Vermächtnis Kains“. Die meisten sind im armen jüdischen Viertel Lembergs angesiedelt und verweben Leben, Glaubenswelt und Mystik miteinander. Er schreibt in einer poetisch feinfühligen Weise gegen Unwissenheit und Intoleranz, gegen Antisemitismus und Arroganz.
Berühmt berüchtigt allerdings wurde er mit einer Geschichte, die der Liebe gewidmet ist: „Die Venus im Pelz“. Die Venus im Pelz ist die Frau, die unter dem Pelz gar nichts trägt und Männer mit außergewöhnlichen sexuellen Neigungen auspeitscht. Und man höre und staune, auf den Dichter Sacher-Masoch geht der Begriff Masochismus zurück.
Andrzej Stasiuk gehört zu den jungen polnischen Autoren, deren Werke schon heute in viele Sprachen übersetzt wurden. Nachdem Dr. Wessig den Roman „Die Welt hinter Dukla“ bei einem der ersten Grenzgänge vorgestellt hatte, waren es dieses Mal „Galizische Geschichten“. Stasiuk erzählt in kurzen leisen Reportagen von der Mittellosigkeit und Hoffnungslosigkeit der Dorfbewohner des heutigen Galiziens in Polen, die zwischen Bleiben und Weggehen im Zwiespalt leben und deren Kultur er durch Verwestlichung mit den Artikeln des globalen Marktes bedroht sieht. Diese Kultur aber möchte er gern bewahren, ihre Einmaligkeit und ihren Glanz in einer kargen Landschaft. Denn wenn die Seele einmal abstirbt, kann man sie niemals wieder erwecken.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.