Kaum zu glauben
Uwe Jordan stellt den englischen Dichter Geoffrey Chaucer (1342-1400) vor und seine „Canterbury-Erzählungen“, erschienen bei Rütten & Loening erstmals 1963, herausgegeben und mit einem klugen Vorwort versehen von Martin Lehnert, Professor an der Humboldt-Universität Berlin.
Geoffrey Chaucer, aus welchem Jahrhundert stammt der denn? Aus dem 14.Jahrhundert! Doch wohl schon ziemlich verstaubt? Die Illustrationen wurden von Werner Klemke in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts geschaffen, also auch schon eine Weile her. Es dürfte so ziemlich uninteressant werden. Doch dann ist Erstaunen angesagt, der Mensch von heute ist diesem Chaucer gar nicht unbekannt und Canterburry liegt anscheinend nicht irgendwo in der englischen Grafschaft Kent , sondern direkt vor unserer Haustür.
Geoffrey Chaucer lässt Pilger "aus Englands Teilen allen, freudig von London nach Canterbury wallen". Zur Verkürzung des Wegs erzählen sie sich Geschichten, ähnlich dem Decamerone des Boccaccio.
Bei Chaucer wirkt alles sehr lebendig und frisch. Zum einen ist die Erzählung in sehr melodischen Versen geschrieben, die alle verstehen sollen und Chaucer schreibt in Alt-Englisch, was der deutschen Sprache sehr nahe steht. Die Reime kommen leicht und beschwingt daher, besonders, wenn sie von Uwe Jordan in einer Art Bänkelsang vorgetragen werden, was wahrscheinlich zu Chaucers Zeiten auch so war, denn der Buchdruck war noch nicht erfunden.
Von 21 überlieferten Texten sind in der vorliegenden Ausgabe acht enthalten und von Werner Klemke üppig und hochmodern illustriert. Es erzählen: ein Müller, ein Landverwalter, ein Koch und die Frau aus Bath, der Bettelmönch, der Büttel, der Ablasskrämer und ein Seemann. Eine Auswahl quer durch viele Gesellschaftsschichten.
Uwe Jordan liest die Erzählung des Bettelmönchs und die der Frau aus Bath. Der Hörer kann die Gegenwart fast lebendig fühlen, auch wenn die Geschehnisse 600 Jahre zurückliegen. Der Mönch erzählt, wie der Büttel mit vielen kleinen Schlichen im Amt zu Wohlstand gelangt, so dass er selbst den Teufel noch belehren kann: "Mein Lohn ist knapp bemessen und sehr klein... Da muss ich wohl von Erpressung leben. Ich nehme alles, was die Leute geben. So schaff ich teils mit List, teils mit Gewalt von Jahr zu Jahr all meinen Unterhalt... Mich drückt nichts im Gewissen und im Magen; die Herrn Beichtväter mag der Teufel plagen." Der Büttel in seiner Erzählung wiederum wird es dem Mönch entsprechend gemein heimzahlen.
Ähnlich Aktuelles ist bei Frau aus Bath zu erfahren. Sie bedauert, dass keine Elfen mehr das Land beleben, das nun von Bettelmönchen bevölkert ist, die den Mädchen nur eine Schmach, aber keine Gewalt antun. Als nun ein junger Ritter neben der Schmach einem Mädchen Gewalt antut, wird er von König Artus zum Tod verurteilt. Die Königin will den jungen Ritter retten. "Es schwebt, sprach sie, in ungewisser Lage noch stets dein Leben. Doch ich schenk es dir, gibst Antwort du auf meine Frage mir. Was ist es, dass ein Weib begehrt? Bewahre deinen Nacken vor dem Schwert... Geschenkt ein Jahr und einen Tag, mög dirs gelingen, die rechte Antwort mir darauf zu bringen." Er muss nun viele schmerzliche Erfahrungen machen, bis ihm die richtige Antwort durch eine Frau zu Teil wird: Das Weib will die Herrschaft übernehmen, dass sie nach ihrem Willen schalten kann und will dann beides für den Mann sein, schön sowohl als gut, ihm in allen Stücken gehorchen, die ihn erfreuen und beglücken. Die Frauen konnten hier behaglich schmunzeln, die Männer weniger.
Uwe Jordan fügte mit Geoffrey Chaucer den Literatur-Raritäten, die er beim Hoyerswerdaer Kunstverein vorstellt, ein weiteres schönes Juwel hinzu.