Sprich, damit ich dich sehe
Im September 2015 gestaltete der Hoyerswerdaer Kunstverein die sächsische Premiere des Buches „Wege, die wir gingen“, das im Geest Verlag Vechta erschien. Barbe Maria Linke, die Autorin, stellte dem Buch und ihrer Lesung das Zitat von Kofi Annan, dem einstigen UNO-Generalsekretär, voran: „… alles beginnt mit einem Traum: jede wegweisende Idee, jede Veränderung. Es gibt natürlich immer wieder Momente, in denen wir zu der bitteren Erkenntnis gelangen, dass unsere Träume an der Realität scheitern können.“ Das Buch enthält 12 ausführliche Gespräche mit Frauen, sechs aus Ost- und sechs aus Westdeutschland, beide Gruppen stellen sich den gleichen Fragen, so dass eine gewisse Vergleichbarkeit möglich wird. Charakterzüge, Lebenshaltung, Einstellung zur sowie Engagement in der Gesellschaft, zu Partnerschaft, Familie, Beruf können erschlossen werden, Meinungen zur deutschen Einheit, deren Vorzügen und Nachteilen äußern die Frauen offenherzig . Das Buch fordert eigene Haltung heraus, lässt Frauen wie Männer über sich selbst und über unsere Zeit nachdenken. Barbe Maria Linke stellte aus jeder der beiden Gesprächsgruppen ein Interview vor, indem sie Proben aus den umfangreichen Selbstdarstellungen vortrug, die Einblick in die Antworten und Lebenshaltungen beider Gesprächspartnerinnen vor allem zu den o. g. Haltungen in Ost und West vermittelten. Barbe Maria Linke kommentierte die Aussagen nicht, dass bot mehr Spielraum für das anschließende Gespräch. Nach einigen Äußerungen Anwesender zu ihrer eigenen Haltung in Lebensfragen , ihrer Sichtweise auf die neuen Partner beiderseits der Elbe und ihren Erfahrungen in den vergangenen 25 Jahren, schien sich eine Abgrenzen gegenüber „den Anderen“ nur punktuell zu zeigen. E wurde schnell erkennbar, das Zeitgenossen, die während der Zeit des getrennten Deutschland wenig oder keinen Kontakt zu Bürgern der anderen Seite hatten, eine gewisse Scheu bei den ersten Begegnungen empfanden. Je nach Charakterveranlagung schwand diese jedoch schnell. Tiefere Gräben waren durch die unterschiedliche Sozialisation – z.B. in den Fragen der Kindererziehung, der Haltung zu Kinderbetreuungseinrichtungen usw. zu beobachten. Da in kirchlichen Kreisen der Kontakt von Ost nach West und umgekehrt gepflegt wurde – nicht zu politischer Beeinflussung wie die DDR argwöhnte , sondern zur Pflege gemeinsamer Kulturtradition und Familienbindungen, also einer menschlich normalen Haltung, waren dort bereits Verständnis und Akzeptanz der anderen Lebensweise gegenüber geübt worden, teilten Besucher aus eigenen Erfahrungen mit. Barbe Maria Linke hatte den Vergleich dadurch erleichtert, dass sie die Interviews zweier Lehrerinnen vorgestellt hatte., von denen die eine von den Versuchen von Studenten in Jena berichtete, die geistige Freiheit im Rahmen der DDR-Gesetze zu erringen suchten und unter den Repressionen des Parteistaates zu leiden hatten. Bei der Erzählerin aus der Bundesrepublik äußerte sich stark ein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, die nicht nur zu einer langährenden Unsicherheit, sondern auch zu zeitweiligem Desinteresse an gesellschaftlichen Ereignissen, wie dem Mauerfall führte. Den Ehemann der östlichen Erzählerin hinderte eine Diskussion mit Gästen aus Frankreich und Italien über den Eurokommunismus und dessen Chancen auf Verwirklichung daran, die Nachricht von der Maueröffnung überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, so stark war man in die ideologische Diskussion verstrickt. Das Buch in seiner Gesamtheit bietet vielfältige Diskussionsansätze, die aber weniger der Abgrenzung als der Verständnissuche dienen sollten. Dabei wäre gewiss die eine oder andere Raffung ohne Aussageverlust möglich. Insgesamt bietet das Buch Möglichkeiten zum Gespräch zwischen Partnern verschiedener Regionen, um andere Lebenshaltungen verstehen und akzeptieren zu lernen. Vierzig Jahre sind nicht mit einem Federstrich aus dem menschlichen Leben und einer Gesellschaft zu streichen. Daher gilt nach wie vor: Sprich, damit ich dich sehe.