Martin Schmidt: Einst verbotenes Manuskript – neu entdeckt
Im Sommer 1957 ging der Schriftsteller Siegfried Pitschmann als Betonbauer nach „Schwarze Pumpe“. Der gelernte Uhrmacher und Autor suchte ein neues Betätigungsfeld. Seine Erlebnisse begann er in seinem Roman „Erziehung eines Helden“ literarisch zu gestalten. Dieser ist ein Zeugnis der Aufbruchsstimmung jener Jahre, die der Autor, real, poetisch, mit Bewunderung der Leistungen und voller Zuneigung zu seinen Kollegen, schildert. Der Vorstand des Schriftstellerverbands der DDR lehnte die Veröffentlichen des Buches ab. Das Bild der Arbeiter entspräche nicht dem der SED, lautete ein ideologisch verbrämter Vorwand der Kultur-Funktionäre. Pitschmann brach das Schreiben an dem Manuskript ab. Das Manuskript verschwand unvollendet. Kristina Stella fand es vor einem Jahr im Archiv wieder. Dieser Tage erscheint es im Buchhandel. Am Freitag, dem 4. Juni 2015, um 19.30 Uhr gestaltet die LAUSITZiade im Spreekino Spremberg Markt 5 die Buchpremiere mit der Herausgeberin Kristina Stella, in Gegenwart des Sohnes Thomas und der Tochter Nora Pitschmann. Neben der Premiere wird der Film: Hunger nach Leben“ gezeigt.
Alle Interessenten sind herzlich eingeladen.
Uwe Jordan: Auferstehung eines literarischen Meisterwerkes, Siegfried Pitschmann „Erziehung eines Helden“
Geschriebenes ist Lebensmittel
Nicht jedem Manuskript bekommt langes Liegen: Es muss frisch verbraucht werden; sonst wird es ungenießbar. Anderes wieder bewahrt vom ersten Tage an bis zur Jetztzeit Aroma und Kraft. Am heikelsten sind Entwürfe, die Jahre, Jahrzehnte gar warten müssen; nicht reifen wie Wein oder Hochprozentiges, sondern still des Doch-noch-entdeckt-Werdens harren. Wird solch Fast-Vergessenes dann ans Licht gebracht, ist es meist eine Enttäuschung; des Geheimnisses entkleidet, bleibt ein schaler Nachgeschmack: „Besser hätte man’s im Reich der Vorstellungen belassen ...“ Verständlich, dass da ein mehr als ein Halbjahrhundert alter Roman-Entwurf mit gelindem Vorbehalt rechnen muss: Ist der nicht auch ausgeblichen; hat Duft und Farbe verloren, wenn er sie denn je in sich gehabt hat? Nun, für Siegfried Pitschmanns „Erziehung eines Helden“ lässt sich energisch sagen: Dieses Buch ist ein Glücksgriff!
Hoyerswerda ohne Heimattümelei
Es ist damit zu rechnen, dass der, der den Roman noch nicht las, Zweifel anmeldet: „Findet nicht der Gartenzaunpatriot jeden Text gut, wenn er nur seine Stadt darin gespiegelt sieht?“ Und „Erziehung“ spielt ja in Hoyerswerda, vor allem Schwarze Pumpe; 1957-1959, in jener Zeit, in der beide Orte begannen, zu dem zu werden, was sie heute noch sind, wenngleich Veränderungen unterworfen. Es lässt sich nicht leugnen, dass Pitschmann Lokalkolorit hat einfließen lassen. Aber nur, um seinen Handlungs-Ort konkret, erfass- und erlebbar zu machen; ihn letztlich umso überzeugender vom Einzelfall ins Allgemeingültige hineinzuheben. Denn darum ging es Pitschmann: Wie gestalten Menschen (nicht: Propagandafiguren) ihre Zeit und ihr Leben? Welche Konflikte treiben sie um? Welche Wege nehmen sie? Pitschmanns Held ist alles andere als ein Bilderbuch-Industrie-Proletarier achter Generation. Er ist ein Gestrandeter, Kleinbürger, mäßig begabter Pianist, der nun auf dem Bau ein „nützliches Mitglied der Gesellschaft“ werden will. Nicht dank sozialistischen Bewusstseins per Erweckungserlebnis, sondern um seiner selbst willen. Pitschmann gesteht seiner halb autobiografischen Gestalt, sowohl in der „Erziehung“ als auch in der dem Band beigefügten Erzählung „Ein Mann namens Salbenblatt“, die Rolle des Beobachtens neben eigenem Handeln zu – und sogar das finale Scheitern: Suizid. Zu dem kommt es nicht, aber allein das Erwägen musste auf die Beschwörer einer durchweg lichten Sozialistischen Zukunft als Provokation gewirkt haben: Pitschmanns Manuskript wird im Schriftstellerverband verrissen. Die „harte Schreibweise“ sei Ausdruck einer dem Sozialismus feindlichen Ideologie! Rest im Prinzip überwundener revisionistischer Strömungen! – Pitschmann wird nie wieder einen Roman vollenden können. Kristina Stella erzählt im Nachwort (nur Strittmatter kommt mir zu schlecht dabei weg) spannend von Pitschmann und dem Roman. Der aber spricht ja schon für sich.
Geschliffene synkopische Sätze
So: „... er merkte plötzlich ... wie der Maschinenlärm (auf der Baustelle Schwarze Pumpe, d. Red.) über ihn herfiel, na los, du warst doch schon immer scharf auf Töne und Geräusche und auf ihre Auslegung und Umdeutung, Also bitte, mach ’ne Ballade draus, oder eine Rhapsodie, wenn du willst. Wie wärs mit einer Rhapsodie in Beton? – Er dachte beunruhigt: Warum sollte nicht eines Tages irgendjemand eine Musik schreiben (freilich müßte er das Zeug dazu haben), die das Loblied auf den Bau dieses Riesenprojekts singt? Ein Loblied auf alle Leute, die dieses Projekt hochtreiben. Ein Loblied auf die Arbeit und auf ihr Heldentum.“ Zeit für ein Loblied auf Pitschmann, nach fast 60 Jahren!
Siegfried Pitschmann: „Erziehung eines Helden“, 1957-2015, Aisthesis, ISBN 978-3-8498-1100-6, Herausgeberin Kristina Stella. Das Buch ist im Handel. Offiziell Premiere hat es am 5. Juni (ein Freitag), um 19.30 Uhr im Spreekino Spremberg (Am Markt 5). Karten ab 26. Mai in der dortigen Tourist-Information (Am Markt 2 / Tel.: 03563 4530).
Uwe Jordan: STADTGESPRÄCH, Stadtführer Pitschmann
Literatur verlockt zum Entdecken. Im besten Falle zum Wieder-Entdecken der eigenen Stadt. Und zum Staunen, was man dort oft an Schönem NICHT sieht. Weil es alltäglich geworden ist. Oder man einfach den Blick nicht hebt. So ging es mir, als ich Siegfried Pitschmanns „Erziehung eines Helden“ las. Dort heißt es auf Seite 172 über Hoyerswerdas 650 WE, das Neustadt-Quartier in der Altstadt in Bahnhofsnähe: „Es gab schon eine Menge glatt verputzter Häuser, sandfarben, lindgrün und grauweiß und mit zierlich verschränkten Balkongittern, und über den Eingangstüren gab es abenteuerliche Mosaikbilder. Ein gefährlicher Stier rannte mit seitwärts gedrehten Mosaikhörnern gegen einen imaginären Feind los, und über der Nachbartür ließ ein freundliches, dickes Mädchen mit rosa Schürze und Zopfschleife einen langgeschwänzten Mosaikdrachen andächtig in eine Wolke aus köstlichem Jadeblau steigen.“ Gestern früh lief ich eine Stunde durch 650 WE. Das von Pitschmann Geschilderte fand ich nicht; nur Sgraffito-Stiere statt des einen mosaikenen. Das Mädchen war ganz abwesend. Hat der detailversessen-penible Autor Pitschmann diese Bilder dichterisch geschaffen? Sind sie bei Sanierungen verschwunden? Oder habe ich zu wenig Geduld gehabt? Was ich aber sah, waren viele verzierte Portale; jedes Haus einem Thema zugeordnet; oft mit maritimen Motiven – einst wohl Orientierungshilfe für Kinder vor allem; heute einen betrachtenden Spaziergang und Dokumentation wert. Hoyerswerda birgt gewiss noch mehr solch literarische, gegenständlich gebliebene Überraschungen – für den Sehen-Wollenden.
Texte von Uwe Jordan: Mit freundlicher Genehmigung des Hoyerswerdaer Tageblattes / Sächsische Zeitung