Überlegungen, wie ich das wurde – dieser seltsame Mensch!

Gerhard Schlegel als eifriger Student an der Bergakademie Freiberg

Nun ja, vieles in seiner Entwicklung – so auch bei mir - ergibt sich durch „Schicksal“ – oder man kann es auch beliebig anders nennen. In den letzten Tagen – durch puren Zufall, bei einer Geburtstagsfeier meiner Schwester – ist mir bewusst geworden, dass es – grob gesagt – zwei Grundtypen von Menschen gibt: die Macher und die Spinner. Natürlich kann man sie auch edler bezeichnen: die Akteure und die Intellektuellen. Aber bleiben wir erst einmal bei den einfachen Begriffen Macher (M) und Spinner (S). Dabei ist mir natürlich auch bewusst, dass der „normale“ Mensch immer eine Mischung dieser Extreme – in unterschiedlichster Art – ist. Das macht eben das Leben so interessant! In mir spüre ich viele Ansätze zu einem S. Woher kamen sie denn eigentlich?
1. Es sind natürlich erst einmal die Gene, d.h. die Vorfahren, von denen ich abstamme – was waren denn das für Typen? So fühle ich zwei Sorten in mir – das „Schmäche-Gen“(d.h. mütterlicherseits) – mit vielen S-Elementen und das „Schlegel-Gen“ mit vielen M-Elementen. Es wäre natürlich nachzuforschen, wie sich diese beiden Stränge im Laufe der Jahrhunderte entwickelt haben und wie die einzelnen Träger dann damit klar gekommen sind. Nun ja, lassen wir es erst einmal bei der Annahme.
2. Bestimmte Verwandte spielen immer eine Rolle, die bei mir – vor allem in der Kindheit und Jugend - Einfluss genommen haben auf das Ausbilden von Eigenschaften bei mir.
3. Einen wesentlichen Einfluss auf meine Art hatte meine Liebe zum Buch, zum Lesen, das sich schon frühzeitig (etwa mit 10 Jahren) bei mir entwickelt hatte. Anteil daran hatte wesentlich unsere Tante Ilse in Konstanz (ihr Mann war Chemiker bei der Degussa), die uns anhielt zu Lesen, die uns jeden Sonntag zum Vorlesen schickte und mich in dieser Weise vor allem mit vielen Sagen und Märchen vertraut machte. 
4. Der „Buchfimmel“ setzte sich dann aber schnell fort, als wir Ende 1946 schließlich in Staschwitz Kreis Zeitz landeten. Dort vor allem: die Eröffnung der MAS-Bibliothek im Jahre 1948 mit ihren ausgezeichneten Bestand: dort lernte ich als eifriger Leser: „Der stille Don“, „Fern von Moskau“, „Wie der Stahl gehärtet wurde“ – aber auch Mark Twain, Jack London und Howard Fast („Die Straße zur Freiheit“) kennen. Ein Buch, das mich bis heute nicht loslässt: „Kreuzfahrer von heute“ von Stephan Heym. Natürlich – und das war auch damals normal, spielte Karl May bei mir eine Rolle, weil mein Klassenkamerad Johannes Kahnt Besitzer einiger dieser Bücher
5. Einen wesentlichen Einfluss hat damals auch das Theaterspielen für mich gebracht. Es fing zunächst als Aktivität der FDJ des Dorfes an unter Leitung von Walter Schmäche – meinen 3 Jahre älteren Cousin. Es waren 7 junge Leute aktiv und dann war es der Hans Sachs, den wir spielten: „Der Rossdieb zu Fünsing“, „Das Kälberbrüten“, „Der fahrende Schüler im Paradies Noch heute kann ich viele Textstellen meiner Rollen von damals aufsagen – nun Altzeitgedächtnis als Phänomen!
6. Ein besonderes Glück hatte ich auch mit der Grundschule in Langendorf. Dort hatten wir eine Lehrerin (Fräulein Weskalnis), die aus Ostpreußen kam und ganz jung war. Sie brachte uns das Singen und ein paar schöne Lieder bei, aber auch viele Geschichten aus ihrem Heimatlande. Es hat uns immer wieder beeindruckt und auch als ich sie im hohen Alter wieder traf, war ihr Geist zu spüren – sie hatte Bücher geschrieben und auch Gedichte.
7. Viele meiner Klassenfreunde hatten etwas Besonderes an sich, so auch Lothar Joachim, der Sohn des ehemaligen Bürgermeisters von Staschwitz. Nicht nur, dass in dem Fenster ein Glas mit Kartoffelkäfern stand – welch eine Seltenheit damals - und ich somit eine Vorstellung von dieser „Waffe der Amis“ bekam, sondern er war leidenschaftlicher Posaunenbläser. In dieser Funktion war er auch im Kirchenchor tätig. Eines Tages sprach er mich an, ob ich nicht Tenorhorn blasen will. Nun ja, ich sagte zu und so kam es, dass auch ich in diese Musikwelt einstieg.
8. Auch unser Dorfleben gab viele Impulse. So gab es einmal einen Schausteller, der sein Karussell am Dorfteich aufbaute, als es einmal ein Dorffest gab. Dann bleibt er noch einige Zeit und baute bei Stolzens Dorfgasthof im Saal eine Bühne auf für ein Marionettentheater, das er dann über Monate betrieb – Hähnel hieß er wohl. Und auf dieser Bühne kamen auch „edle“ Stücke zur Aufführung. Viele hatte ich mir angesehen und war auch begeistert.
9. Die FDJ-Lieder hatten auch ihren Effekt: ich war dann, Anfang der 50er Jahre FDJ-Sekretär in Staschwitz geworden und hatte somit auch die Aufgabe „Jugendleben“ zu organisieren. Sehr oft trafen wir uns im Kindergarten-Saal, der sich im „Herrenhaus“ befand zu einem geselligen Beisammensein oder zu Versammlungen und es gab dazu auch Musik: einer konnte „Zerrwanst“ spielen und wir hatten ja damals schöne Lieder zum Singen: „Jugend erwach, erhebe dich jetzt“…“Wir sind jung, die Welt ist offen“..“Laßt heiße Tage im Sommer sein“ – bis hin zu „Wann wir schreiten Seit an Seit..“
Lustig aus dieser Zeit – einer stellte immer den Antrag, Genossen Stalin ins Präsidium zu wählen, was auch erfolgte. Der bereitgestellte Stuhl blieb allerdings immer leer.
10. Einen wesentlichen Einfluß auf mich hatten auch die Lehrer in der Oberschule in Zeitz dann, die ich von 1950-54 besuchte. Wir hatten damals noch das Glück mit „den alten Lehrern“ – unser Klassenlehrer, Dr. Kurt Wöhe war so einer. Er war auch unser Deutsch- und Englischlehrer und hatte eine phantastische Ausstrahlung, das er auch mit uns gern auf Wanderschaft ging – nach den Dornburger Schlössern, nach Freyburg, nach Weimar, in das Mühlental und an viele andere Orte. Er brachte uns edle Literatur nahe – an Effi Briest z.B. kann ich mich noch erinnern und an Hölderlin – „Nur einen Sommer gönnt ihr Gewaltigen..“.
Relaxtes Studieren 11. Mein Studium an der Bergakademie 1955-60 hat auf meine künstlerischen, „spinnerhaften“ kaum Einfluss gehabt. Ich war die 5 Jahre land „Seminarsekretär“ unserer Seminargruppe und führte sie auch geschlossen von Anfang bis zum Diplom. Dadurch war ich in einem ganz anderen Milieu!
12. Dann also ein großer Zeitsprung: wie ging es denn in Hoyerswerda weiter, wo wir zunächst in der Nähe (Laubusch bis 1968) und dann mitten in der „schönen Neustadt“ (WK VIII) wohnten. In Laubusch haben wir eine gewisse Zeit (etwa 1 Jahr) im dortigen Kulturhaus gewohnt und somit alles erleben können, was dort an Kultur geboten wurde, von der Bibliothek über den Malerzirkel (mit Fritz Tröger), den „Klub der Intelligenz“ (der nicht viel leistete) bis hin zu den „großen Veranstaltungen“ – es war immer etwas los. Aber auch damals schon hatten wir zum „Theater der Bergarbeiter“ in Senftenberg einen „guten Draht“ – wir hatten ein Abonnement und fuhren aller zwei Monate dort hin. Auch große Veranstaltungen in Hoyerswerda (Scholzhalle) besuchten wir: das Berliner Ensemble (mit Helene Weigel, Wolf Kaiser u.a.) und „Jazz, Lyrik, Prosa mit Manfred Krug, Eberhard Esche u.a. Dann aber eine weitere Geschichte: ab 1965 hatte mich mein Arbeitskollege, Martin Schmidt, mit in die Arbeit des „Freundeskreises Kunst und Tages Arbeit im Braunkohlenkombinat Senftenberg, abends Freundeskreis der Künste und LiteraturLiteratur“ beim Kulturbund eingeladen. Viele Veranstaltungen fanden noch in der Wohnung Schmidts statt (ich kann mich noch an Karl-Friedrich Claus entsinnen), aber das meiste lief im „Olympia“ ab. Das ist eine lange Geschichte – bis heute und sie hatte ein hohes intellektuelles Niveau. Hier entstand ein wesentlicher Teil meines Wesens – denn wenn man Christa Wolf „erlebt“ – man wird ein anderer Mensch! 
13. Buchhändler kennen – und man hatte gute Chancen! Ja, es war oft nicht einfach, ein Buch zu kaufen, das angekündigt war, denn auf diesem Gebiet herrschte ja auch Knappheit und viele Leute wollten ja lesen, denn lesen galt als Lebensmittel.. So füllten sich meine Regale mit guter Literatur, auf die ich heute noch stolz bin!
14. Das Theaterspiel in der Kufa – es ist auch wieder ein Weg zum „Spinner“ – denn was ist denn Theater etwas anderes als dieses Ziel bei den Zuschauern zu erreichen? Nun ja zunächst war es ein Casting zur Aufführung von Matusches Stück: “Kap der Unruhe“ – als Film dann „Barackenwind“. Wir hatten professionelle Anleitung, es waren viele gute Leute dabei und wir spielten das Stück dann auch sehr gerne. Inzwischen sind 10 Jahre ins Land gegangen und wir spielen jetzt – mit etwas veränderten Akteuren – die „Villa Alzheim“ – auch wieder ein Stück, wo man viel zwischen den Zeilen lesen kann. Wie es weiter geht – ich weiß es nicht genau, denn das Alter fordert ja auch sein Recht.
15. Was auch sehr viel Spass machte und trotzdem tiefe Veränderungen in mir auslöste, das waren die Gespräche mit Leuten aus allen möglichen „Ecken“ Deutschlands in unseren Ferienorten Kolberg und Trebon.

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