Aufarbeitung ist weiter notwendig - Hoyerswerdaer setzen sich kontinuierlich mit 1991 auseinander

Mit dem September 1991 hat sich der Dörgenhausener Dr. Christoph Wowtscherk intensiv befasst. An der Ruhr-Uni Bochum schrieb er seine Dissertation 2012 „Was wird, wenn die Zeitbombe hochgeht?“ zu den Ereignissen. Donnerstag kam er zum Vortrag ins Schloss Hoyerswerda.

Nach dem Vortrag von Dr. Christoph Wowtscherk, rechts, gab es eine angeregte Diskussion zum Thema.Die fremdenfeindlichen rechtsextremen Ausschreitungen vom September 1991 brauchen weitere systematische Aufarbeitung der Ursachen. Der Umgang heute mit Ausländern und mit Asylbewerbern ist ein langer Lernprozess. „Wir haben einen Anfang geschafft. Wir müssen beispielgebend nach vorn gehen. Wir selbst sind für unser Gemeinwohl verantwortlich“, unterstrich Stadtrat und Kreisrat Dirk Nasdala (Freie Wähler StadtZukunft) Donnerstag im Schloss Hoyerswerda in der Diskussion zum Vortrag mit Dr. Christoph Wowtscherk aus Dörgenhau-sen „Was wird, wenn die Zeitbombe hochgeht?“ zum Herbst 1991. Rund 25 Interessierte folgten der Einladung des Bildungswerkes für Kommunalpolitik Sachsen und des Hoyerswerdaer Kunstvereins.
Die Ausschreitungen, so Christoph Wowtscherk, hatten eine Vorgeschichte. Im April 1989 gab es Schlägereien zwischen Deutschen und Vietnamesen vor einer Diskothek. Ebenfalls im April 1989 wurden zwei Mosambikaner vor einer Diskothek in Schwarzkollm angegriffen. Am 1. Mai 1990 kam es zu einer Massenschlägerei auf einem Rummelplatz mit Mosambikanern. In der Nacht vom 2. zum 3. Oktober wurde das Ausländerwohnheim belagert. „Es war der Event-Charakter, der die Täter motivierte“, so Christoph Wowtscherk. „Mindestens sieben der von 1989 bekannten Straftäter und mindestens zwei der vom Oktober 1990 bekannten Straftäter waren an den Ausschreitungen 1991 beteiligt.“ Gewalt wurde vom 17. bis 23. September 1991 zum täglichen Ritual. Sie verlagerte sich vom Ausländer-Wohnheim Albert-Schweitzer-Straße auf das Asylbewerber-Heim Thomas-Müntzer-Straße. Verängstigte Ausländer drängten auf Ausreise nach Westdeutschland. Rund 1.000 Zuschau-er begrüßten Beifall klatschend ihre Evakuierung. „Ihr Zeichen war die Straße. Der Mob setzte sich durch“, so Christoph Wowtscherk. In den hohen sozialen Spannungen, den überforderten Behörden in Stadt, Kreis und Land, den fehlenden Erfahrungen mit Ausländern sowie im kompletten Autoritätsverlust des Staates sieht er die tieferen Ursachen der Ausschreitungen. Er wertet sie auch als sozialen Protest.
Hoyerswerda zog Konsequenzen. Die Bürgerinitiative „Dem Hass keine Chance“ entstand. 1992 entstand das Christliche Gymnasium Johanneum mit ursprünglich zwölf Lehrern und 172 Schülern. Zugleich engaierte sich jetzt die Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Demokratie und Lebensperspektiven (RAA-Ostsachsen) Hoyerswerda für Weltoffenheit und Toleranz in der Stadt. „Menschen haben einen Hang für Sensationen. Die Sucht, mit dem Bösen zu kokettieren, ist durchaus da“, meinte Peter Paul Gregor, Pfarrer der katholischen Pfarrgemeinde Heilige Familie Hoyerswerda. Die Auseinandersetzung mit 1991 hält er weiter für dringend nötig. „Wir waren gut beraten, ein Bürgerbündnis zu gründen. Wir waren gut beraten, mit Bürgerforen zum Thema Asylbewerber aufzuklären“, sagte Helga Nickich, Vorstandsvorsitzende der RAA Hoyerswer-da Ostsachsen zur heutigen Lage. Ihr fehlt die systematische Aufklärung zum Thema Asyl über einen langfristigen Zeitraum. Ihr fehlt zudem systematische Bildung. „Bildung und Aufklärung ist die eine Seite“, meinte Jakob Scholz, Sozialarbeiter der Fortbildungsakademie der Wirtschaft FAW. „Asylbewerbern mit Arbeit und mit Deutschkursen Perspektiven zu geben, ist die andere Seite. Hier wird in Deutschland viel verschenkt.“
Buchtipp zum Lesen: Christoph Wowtscherk: „Was wird, wenn die Zeitbombe hochgeht? Eine sozialgeschichtliche Analyse der fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Hoyerswerda im September 1991.“ Dissertation. Verlag unipress Göttingen 2014, ISBN-Nummer: 978-3-8471-0324-0, Preis: 29,90 Euro.
Mit freundlicher Genehmigung der Zeitungen "Die Kirche" und "Serbske Nowiny", in denen der Artikel veröffentlicht wurde.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.