Mit Autor, Biographie und Werk fair auseinandersetzen

Erwin Strittmatter war Thema eines Vortrages im Schloss Hoyerswerda/Wojerecy.

Professor Carsten Gansel, links, im Gespräch mit Martin SchmidtErwin Strittmatter als Mensch und Schriftsteller sind nicht voneinander zu trennen. Autor, Biographie und Werk verdienen eine faire, sachliche und kritische Auseinandersetzung. „Wir sollten uns den Fakten stellen und sie kommentieren“, unterstrich Professor Dr. Carsten Gansel von der Universität Gießen Mittwoch im Hoyerswerdaer Schloss. Thema war das von ihm und Matthias Braun herausgegebene Buch „Es geht um Erwin Strittmatter oder vom Streit um die Erinnerung“. Der Hoy-erswerdaer Kunstverein lud zum Vortrag mit Diskussion ein. Weit über 40 Literaturinteressierte kamen. 
Hintergrund ist Erwin Strittmatters 100. Geburtstag am 18. August. Über Person und Werk gibt es derzeit in seiner Geburtsstadt Spremberg eine heiße Diskussion. Bereits 1963 schrieb Publizist Marcel Reich-Ranicki in einem Aufsatz: „Auffällig karg sind hingegen in allen biographischen Angaben über Strittmatter die Informationen über seine Kriegsjahre. Wir erfahren lediglich, dass er Soldat war und gegen Ende des Krieges de-sertierte.“ 2008 gab es weitere Nachforschungen. Strittmatter, so wurde bekannt, gehörte Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem Polizeige-birgsjägerregiment der SS. Es zog seine Blutspur über den Balkan. „Warum hat Strittmatter darüber geschwiegen?“, fragte Carsten Gansel in seinem Vortrag. Der Wissenschaftler wehrte sich gegen billige Po-lemik und Vorverurteilung gegenüber Erwin Strittmatter. Er wehrt sich zugleich gegen eine Überhöhung des Autors und eine Verharmlosung der Tatsachen. „Wir wollten ein Buch schreiben, das differenziert auf den Autor und seine Texte schaut“, unterstrich er. „Wir sollten uns über die Erinnerung austauschen. Wir müssen über Krieg, deutsche Schuld und Verantwortung reden. Wir müssen über DDR, Autoren in der DDR, Literatur in der DDR und Schriftsteller als moralische Instanzen in der DDR reden.“ Carsten Gansel, in Güstrow aufgewachsen und studierter Germanist, Philosoph und Slawist, will eine faire Sicht auf Strittmatter. Auch dessen Briefe und Tagebücher sind einzubeziehen. „Wenngleich auch hier Selbstinszenierung eine Rolle spielt“, schränkte er ein. Die Wahrheitssuche ist schwierig. Wie weit verarbeitete Strittmatters sein Kriegstrauma in der Literatur? Warum gibt es in einigen Werken wie „Ole Bienkopp“ sehr fragwürdige harte Frauen-Darstellungen? Wie weit kanzelte Strittmatter, 1959-1961 erster Sekretär des DDR-Schriftstellerverbandes, kritische Kollegen ab? Wie weit war Erwin Strittmatter mit der Staatssicherheit verstrickt? Wie weit nahm Strittmatter Abschied von unbequemen Schriftsteller-Freunden wie Peter Jokostra und Boris Diacenko? Und wie weit geriet er 1980 selbst in die Mühlen der Ideologie und Bürokratie der SED über sein dreiteiliges Buch „Der Wundertäter“? „Wir stehen mitten in der Diskussion“, so Carsten Gansel. „Wichtig ist, Erwin Strittmatter als ganze Persönlichkeit wahrzu-nehmen. Werk und Biographie sind nicht zu trennen.“ Nötig sind tiefere genaue Nachforschungen. „Es sollte um eine differenzierte Bewertung gehen“, meinten Ilona und Tassilo Schulz aus Spremberg. „Die Diskus-sion um Erwin Strittmatter in unserer Stadt sollte wieder auf eine sachli-che Ebene kommen.“ Martin Schmidt, Vorsitzender des Hoyerswerdaer Kunst-vereins, würdigte Erwin Strittmatter als herausragenden Schrift-steller in der DDR-Literatur. Auch er sprach sich für eine faire Auseinandersetzung mit Autor und Werk aus. Der Vortrag im Schloss gab neue Anstöße. Am 18. August ehrt eine Feierstunde in der Aula des Erwin-Strittmat-ter-Gymnasiums Spremberg den Autor zu dessen 100. Geburtstag. Am 19. August würdigt ihn ein Hoffest in Bohsdorf mit Rundgang zu authentischen literarischen Stätten.
Carsten Gansel, Matthias Braun (Hrsg.): „Es geht um Erwin Strittmatter oder vom Streit um die Erinnerung.“ Reihe Deutschsprachi-ge Gegenwartsliteratur und Medien Band 11. V & R – Verlag Göttin-gen 2012, ISBN: 9-783899-719970. Preis: 39,90 Euro, 402 Seiten.
Mit freundlicher Genehmigung von Lausitzer Rundschau, Rundschau für Hoyerswerda.

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