Bewegende Lebensgeschichten
Das jüngste Gespräch am Kamin des Hoyerswerdaer Kunstvereins am Mittwochabend erinnerte an den Schriftsteller Albrecht Goes (1908 - 2000), dessen Erzählung „Unruhige Nacht“ ihn seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts weltbekannt machte. Von England bis Südafrika, in Frankreich, der Türkei, in den USA und Japan war dieses Buch nach seinem Erscheinen 1949 binnen weniger Jahre übersetzt worden und erschienen. Um seinen Autor bildete sich einen weltweiter Leserkreis, dessen Mitglieder sich persönlich nicht kannten, jedoch dem Ruf des Autors folgten „Du sollst dich nicht vorenthalten“. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hatte Albrecht Goes diese Aufforderung 1934 angesichts des wachsenden Terrors in Deutschland zugerufen.
Jürgen Israel, Schriftsteller in Berlin, ließ in seinem Vortrag ein Bild des Autors, seinen Lebens und Schaffens entstehen. Als Kind hatte er die Folgen des ersten Weltkriegs durchlebt, als junger Menschen erschütterte ihn der Mord an Walther Rathenau, so dass er fortan Antisemitismus, Rassenhass, Menschenfeindlichkeit und Gewalt als Pfarrer und Dichter entgegen trat.
Mit seinen Erzählungen „Begegnungen in Ungarn“, „Unruhige Nacht“, „Das Brandopfer“ gehörte Albrecht Goes zu den ersten deutschen Autoren, die die Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten an den jüdischen Mitbürgern benannten, die zu einer anderen Haltung dem Anderen gegenüber ermutigen.
Wohl ausgewählte Passagen aus den Büchern, die Jürgen Israel las, teilten die leisen Töne der Texte mit, ließen Bilder und Menschen vor den inneren Augen erstehen. Er verzichtete auf Interpretationen, vermittelte vielmehr das Empfinden, von Albrecht Goes: “Unser Leben ist wie ein Stein ins Wasser geworfen und Kreise zieht“. Jeder habe sich zu entscheiden, ob er passiv alles geschehen lasse und beiseite stehe, ob er dem Unrecht, dem Bösen widerstehen und ihm Neues entgegenstellen wolle.
In seinen Erzählungen schildert der Autor Situationen, in denen seine Protagonisten völlig allein entscheiden müssen, die sie nicht selbst wählen oder gestalten können, wie sie sich - auf sich allein gestellt - einem Anderen in schwieriger Situation gegenüber verhalten. Dies geschieht in Lebens-Bildern, nicht in Phrasen oder Appellen, sondern folgt Luthers Bibelübersetzung mit ihren einmalig eindrücklichlebensnahen Geschichten.
Dies war auch der Tenor der Gedichte von Albrecht Goes, mit denen Jürgen Israel seinen Vortrag endete. „Die ersten Schritte“ - zur Geburt seiner ersten Tochter, “Lichtschatten, du“ - endend mit dem Ruf „oh, glühender Strom vergangener Jahre“. Der unerfüllbare Wunsch „Sieben Leben möchte ich haben und habe doch nur eines“ schloss eine bewegende Stunde des Zuhörens, öffnete stilles Nachdenken und weitere einfühlsame Gespräche – auch am Hoyerswerdaer Kamin.
Veröffentlicht: am 07.10.2011 in der Lausitzer Rundschau