Nicht erst seit der Geburt im Verein
Angela und Kira Potowski sind Mitglieder in Kunstverein Hoyerswerda, der in mancher Hinsicht sogar die Metropole Berlin in den Schatten stellt.
Will ein Chronist verdeutlichen, dass sein Gesprächspartner schon seit Kindesbeinen an einer Berufung oder Leidenschaft folgt, nutzt er bisweilen das nicht ganz zutreffende Bild, das Gegenüber sei „ein(e) geborene(r) ...“. Für Kira Potowski, jüngstes und Ehrenmitglied des Kunstvereins Hoyerswerda, trifft das freilich nicht zu: Sie war ja schließlich schon Gast im Kunstverein Hoyerswerda, als sie noch nicht geboren war!
Ein freiwilliges Muss
1985. Die junge, gerade ausstudierte Lehrerin Angela, eine gebürtige Kamenzerin, schaut ein bisschen unfroh in die Zukunft. Denn ihre Studienzeit in Berlin war für die kulturbegeisterte junge Frau etwas Wunderbares. Kunst jeglicher Couleur fand sich hier in solcher Qualität und auf so dichtem Raum wie wohl sonst nirgends in der DDR, Leipzig hin, Dresden her; Weimar ungeachtet oder auch Rostock. Allein die Theaterszene! Kein Wunder: Berlin war ja Hauptstadt. Aber so wie jeder angehende Pädagoge hatte auch Angela vor der Immatrikulation eine freiwillige Verpflichtung unterschreiben dürfen müssen, dass sie nach dem Studium klaglos die ersten drei Jahre an einem Ort arbeiten würde, den das Volksbildungsministerium für richtig hielt. „Und ehe sie mich nach Schwedt versetzen, hab’ ich mich für Hoyerswerda bereit erklärt.“
Das Wunder in der Provinz
Hoyerswerda! Die tiefste Provinz, die es in Sachen Kultur ja nicht einmal mit ihrer Geburts- und Lessingstadt Kamenz aufnehmen konnte ... Wie da erst mit Berlin ... Doch Angelas Mutter gibt der betrübten Tochter einen praktischen Ratschlag: „Geh’ doch mal zu Martin Schmidt, der hat da so einen Kreis ...“ Gemeint war der Hoyerswerdaer Freundeskreis der Künste und Literatur, der heutige Kunstverein. Aber ja doch! Wie hatte sie im fernen Preußen ihn fast vergessen können: jenen Cercle Kulturbegeisterter, der nicht nur mit Begeisterung Ausflüge in die Hochburgen der Kultur, so auch nach Berlin, organisiert; sondern der mit noch mehr Begeisterung und Erfolg die großen Künstler in die Provinz Hoyerswerda holt. Sicher ein bisschen davon profitierend, dass die (Neu-) Stadt und das nahe Gaskombinat Schwarze Pumpe, für das sie ja gebaut worden war, zu den wichtigsten festen Größen der DDR gehörte; doch vor allem davon lebend, dass besonders die Schmidts mit nimmermüdem Elan Kunst-Abende gestalten, deren Ruf legendär wird – eine vollkommen offene Atmosphäre des Gesprächs und Gedankenaustauschs, in der es Denkverbote eben so wenig gibt wie Dogmatismus, Ausgrenzung, Intoleranz und das Beharren auf „politischer Korrektheit“, jener geistigen Armseligkeit, die es damals schon gab, obgleich unter anderen Vorzeichen. Diese Offenheit, die den Freundeskreis auch vor Nachstellungen und Verdächtigungen „konspirativen Handelns“ schützt, begeistert die Gäste, die aus hervorgehobeneren Städten der DDR leidvoll Anderes gewohnt sind.
Angela erinnert sich, vor ihrer Berliner Zeit schon einmal einen Abend des Freundeskreises besucht zu haben. „Stargast“ war damals Ezard Haußmann, der Schauspieler, der etwa den Reichsgrafen von Brühl im legendären Fernseh-Dreiteiler „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ gegeben hatte.
Beginn mit Brigitte Reimann
Angelas Rückkehr zum Freundeskreis wird eine dauerhafte. Hier trifft sie auf einmal all die Größen aus Berlin – und obendrein viel näher, als es da möglich gewesen wäre: Christa Wolf. Dieter Mann. Ulrich Mühe ... Aber schon bald stellt sie fest, dass es noch mehr Spaß machen würde, nicht nur zuzuhören, sondern selbst etwas zu gestalten. Die Gelegenheit dazu bietet 1987 ein Brigitte-Reimann-Abend, bei dem sie liest. „Mit dabei“: die noch ungeborene Tochter Kira. Die wird, als sie dann auf der Welt ist, immer wieder mitgenommen – und fühlt sich wohl in dieser Gemeinschaft Gleichgesinnter. Daran ändert auch die Wende nichts.
Gemeinsame Programm-Pläne
Später wird Kira selbst aktiv, begleitet mit ihrem Flötenspiel viele Programme. Der Kunstverein hat ihr manch Fenster zur Welt geöffnet – nun, als junge Frau, kann und will sie es selbst. Lebt und lernt eine Zeit in den USA, in Spanien. Die Berufung wird Beruf: Sie studiert Kulturmanagement in Görlitz. Arbeitet seit März 2011, nach erfolgreichem Studienabschluss, in Berlin (!) in einer Kulturmanagement-Agentur. Ist aber dennoch immer wieder im Kunstverein Hoyerswerda zu finden. Wird dort zum Ehrenmitglied ernannt.
Ganz nach Hoyerswerda zurückzukehren, ist für sie momentan zwar nicht vorstellbar, „aber dem Kunstverein bleibe ich treu. Wenn ich aktiv teilnehmen kann.“ Daran wird gewiss kein Mangel sein, doch – Moment mal: Gab es denn schon einmal ein von Angela und Kira Potowski gemeinsam gestaltetes Programm? Beide sind einen Moment verblüfft. Nein. „Da haben wir noch nie drüber nachgedacht. Sollten wir aber mal“, befindet Kira. Folgerichtig wäre es ja. Lassen wir uns einfach überraschen.
Angela Potowski hat für das Gespräch die Foto-Alben aufgeschlagen, die aufbewahrt haben, welche Veranstaltungen der Kunstverein Hoyerswerda seit ihrem Einstieg 1985 gehalten hat, welche illustren Gäste in Hoyerswerda zu Lesungen und Diskussionsrunden weilten – im Otto-Grotewohl-Club, im Schloss, zu den Brigitte-Reimann-Spaziergängen an den literarischen Orten der Romane und Tagebücher ... Zwischen all diesen „dokumentarischen“ Fotografien und Notizen findet sich auch manch privates Stück – Tochter Kira macht mit Mutter Angela hier einige amüsante Entdeckungen.
Mit freundlicher Genehmigung von: Sächsische Zeitung, Hoyerswerdaer Tageblatt