100.Geburtstag von Czeslaw Milosz
m Jahr 1980 erhielt der polnische Schriftsteller Czeslaw Milosz den Literatur-Nobelpreis als Lyriker. Zu seinem 100.Geburtstag am 30. Juni stellte der Literaturwissenschaftler Dr. Wolfgang Wessig aus Görlitz im Hoyerswerdaer Kunstverein dessen Essays und dessen bewegtes Leben vor.
Geboren in Seteniai, einem litauischen Ort, der damals zum russischen Zarenreich gehörte, studierte er in Wilna, das seit 1918 polnisch ist, sprach und schrieb jedoch sein Leben lang in polnischer Sprache. Im zweiten Weltkrieg gehörte er der polnischen Widerstandsbewegung an, arbeitet nach 1945 als Kulturattache Polens in den USA und in Frankreich, ging dort 1951 ins Exil, lebte 10 Jahr in Frankreich und lehrte von 1960 bis 1989 in Berkeley/USA Slawistik und kehrt erst im Jahr 2000 nach Krakau zurück. Dort löste sein Beisetzung im polnischen Pantheon einen Streit zwischen Traditionalisten und seinen Anhängern aus, den Papst Johannes Paul II. zugunsten des Dichters schlichtete.
Milosz ließ sich nicht vereinnahmen. Mit seinem Buch „Verführtes Denken“ wurde er weltberühmt, er enthüllte der Verführungskräfte der Diktaturen des 20.Jahrhunderts. „Milosz zeigt die schrecklichen Realitäten, die schon viele Darstellungen gefunden haben, auf eine eigentümlich nahe Weise. Hier findet Sprache ein Herz, das mit jeder Wirklichkeit, in der Menschen zerstört werden, erzittert, ein Auge, das psychologisch zu sehen vermag, eine Gerechtigkeit, die nicht Ausreden erfindet“, schrieb der Philosoph Karl Jasper.
Die Zuhörer beim Gespräch am Kamin erlebten diese Wirkung unmittelbar. Dr. Wolfgang Wessig sprach nicht über den Schriftsteller, kommentierte dessen Text nicht, sondern ließ Milosz selbst zu Gehör kommen. Höchst aktuell erschienen manchem Zuhörer die Kapitel zu „ Die große Leere“ , „Das Absurde“ und “Die Notwendigkeit“ . Diese Begriffe enthüllen die intellektuelle Verführung von Menschen, die dann mit einer „Murti-Bing-Pille“ ruhig gestellt werden. Diese Pille ist eine literarische Erfindung des polnischen Autors Stanislaus Ignatius Witkiewicz aus dem Jahr 1932, die Menschen zu angeblicher Zufriedenheit führt und deren kritisches Denken ausschaltet – erlebbar nicht nur in Diktaturen.
Wolfgang Wessig erreichte mit seiner Lesung bewußt, ganz im Sinne von Czeslaw Milosz, das Gegenteil. Seine Zuhörer wurden zu kritischem Betrachten von Vergangenheit und Gegenwart geführt, fanden sich im Anschluss in Gesprächen, die die Aktualität der gehörten Texte einmal mehr bewiesen. Ein Grund mehr für den Kunstverein, Lesungen dieser Art auch in seinem Herbstprogramm zu anzubieten.