Justine Deffaisse hält im Schloss Hoyerswerda einen Vortrag zu Brigitte Reimann – wir trafen die Studentin der Uni Lyon in Hoyerswerdas Reimann-Begegnungsstätte.

Ein bisschen Lampenfieber gesteht Justine Deffaisse ein – es ist ja das erste Mal, dass sie einen solchen Vortrag halten wird, zum ersten Teil ihrer Master-Arbeit von 2010. Aber sie darf das Ganze heute ruhig angehen. Zum einen ist ihr Thema spannend: Wie spiegelt sich der Briefwechsel zwischen Brigitte Reimann, Eltern, Schriftsteller-Kollegin Christa Wolf und Freundin Irmgard („Irmchen“) Weinhofen in ihren Tagebüchern 1968 - 1973 wieder? Das hat, meines Wissens, so noch niemand untersucht; dürfte daher das geneigte Interesse beim gastfreundlichen Kunstverein und dessen Freunden wecken. Zudem spricht Justine Deffaisse perfektes Deutsch – mit heiter-melodischem französischem Akzent, der die quicke, lebenssprudelnde Persönlichkeit der zierlichen, wissbegierigen jungen Frau trefflich untermalt. Vor allem: Justine Deffaisse will, so lautet der Plan zumindest jetzt, Lehrerin werden, Deutsch-Lehrerin. Da ist ein solcher Vortrag ja nicht die schlechteste Übung.
Zurzeit noch Lernende
Noch aber ist sie Lernende, steckt mitten in der Materialsammlung zu Teil 2 der Master-Arbeit: Die soll Briefwechsel und Tagebücher 1960 bis 1968 umfassen: die Hoyerswerdaer Jahre. Justine Deffaisse ahnt, dass sie angesichts der überbordenden Fülle des Stoffes wohl wird kürzen, aus- und weglassen müssen.
An den Stätten von einst
Denn die drei Hauptstränge des Untersuchten haben durch die Tage in Hoyerswerda enormen Zuwachs an Gesehenem und Gehörtem erlebt. Egal, ob es um das Privatleben von Brigitte Reimann in Hoyerswerda-Neustadt geht. Um die Schriftstellerin. Oder das Mitglied der Rohrschlosserbrigade in Schwarze Pumpe, nebenbei leitend den „Zirkel schreibender Arbeiter“, dabei unerfreuliche Auseinandersetzungen habend mit dem Pumpe-Chronisten, der, literarisch talentfrei, nur von seiner Vergangenheit im antifaschistischen Widerstand zehrt. 

Ein kleines Bären-Déjà-vu

Justine Deffaisse hat am Brigitte-Reimann-Spaziergang teilgenommen, auf dem an Orten, die die Reimann beschrieb, jene Passagen gelesen wurden. Hat Schloss und Zoo erkundet – und musste am Bärengehege lachen: so deutlich wie die Petze standen da vor ihr die Sätze Brigitte Reimanns zu den Tieren, die sie in der Abschieds-Eintragung im Gästebuch des Kunstvereins am 5.12.1967 unter die drei Dinge zählte, die sie in Hoyerswerda am meisten mochte. Justine Deffaisse hat Schwarze Pumpe besucht. War, vor ihrer Hoyerswerda-Visite, in Berlin zu Gast bei Irmchen. Dort fand sie bestätigt, was ihr schon vorher aufgefallen war: dass die Briefe an verschiedene Adressaten differenzierte Schilderungen derselben Begebenheiten und Erfahrungen enthalten. „Irmchen (damals in den Niederlanden lebend, d. A.), hatte immer Angst, wenn sie Briefe von Brigitte erhielt, dass jemand mitgelesen haben könnte, was sie ungeschminkt aus Hoyerswerda berichtete – und dass Brigitte sich dafür Ärger mit der Macht hätte einhandeln können.“ Zur Freundin war Brigitte weit deutlicher als zu den Eltern – um Letztere nicht zu beunruhigen oder in Dinge hineinzuziehen, mit denen Brigitte Reimann eh mehr als genug zu kämpfen hatte.
„Von dieser Hure will ich nichts!“
Justine Deffaisse blättert zielbewusst im Band „Was ich auf dem Herzen habe“. Zitiert Waltraud Skoddow, wie die als „Hilfs-Bibliothekarin“ in jener Zeit einmal übel ankam, als sie eine Frau für ein Reimann-Buch interessieren wollte – und hören musste: „Von dieser Hure will ich nichts!“ (S. 382) Justine Deffaisse seufzt ein bisschen. Nein, in die Master-Arbeit wird all das nicht passen. Aber vielleicht in eine Promotion, die zur Lehrtätigkeit an der Uni Lyon führen könnte? In Hoyerswerda als „Forschungsstadt“ ist sie dafür herzlich willkommen.
Übermorgen verlässt sie die Stadt erst mal: Sie verdient sich ein paar Euro in einem Buchladen, muss wieder antreten. Welches Buch der Reimann würde sie da Interessierten als Einstieg empfehlen? „«Die Frau am Pranger». Oder «Ankunft im Alltag». Aber noch besseren Zugang zu Brigitte findet man über ihre Briefe und Tagebücher.“ Eben das, was heute auch im Mittelpunkt ihres Vortrages stehen wird. Eine Einladung an Hoyerswerdas Brigitte-Reimann-Freunde. Und die, die es werden könnten. Sollten.

Justine Deffaisse an der alten Schreibmaschine in der Reimann-Begegnungsstätte in der Brigitte-Reimann-Straße 8, nahe dem Reimann-Wohnhaus Liselotte-Herrmann-Straße 20.

So könnte es gut ausgesehen haben, als Brigitte Reimann die erste Fassung der „Gymnasiasten“ (später berühmt als „Ankunft im Alltag“) zu Papier brachte – oder sich mit ihrem, wie sie es selbst nannte, „Unglücksbuch“, der „Franziska Linkerhand“, zu plagen begann. Justine Deffaisse sucht in ihrer Master-Arbeit nach Parallelen und Differenzen in den Briefen und Tagebüchern von Brigitte Reimann.

 

 

ZITAT: „Eine Dozentin hatte mir zunächst Christa Wolf als Thema empfohlen. Aber als ich deren Briefwechsel mit Brigitte Reimann las, hat mich nur noch Brigitte Reimann interessiert.“ (Justine Deffaisse, Studentin aus Lyon)

 

 

Mit freundlicher Genehmigung des Hoyerswerdaer TAGEBLATTs/ Sächsische Zeitung.

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